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Aber hier jubeln, nein danke!

Ein Kommentar zum aktuellem „Grand Prix Eurovision de le Football 2008“, kurz EM 08.

Es ist schon seltsam, Menschen die sich nie zuvor auch nur am entferntesten für Fußball (dem im klassischen Sinne) interessiert haben, laufen schon am Morgen des Spieltages der deutschen Elf bunt geschmückt in den Drei Farben des Sommers (O-Ton der Wurfwerbung bei mir im Briefkasten) herum. Die Anzahl steigt proportional bis zum Anpfiff an, sodass man überall nur noch „hochwertige Originaltrikots“ erspäht. Diese Desginmeisterstücke bekommt man ja schon für die Anstrengung beim Kauf eines Kasten Bieres hinterhergeschmissen. Eine weitere schöne Begleiterscheinung sind die Fußballexperten, welche nun alle 2 Jahre auftauchen:

1. Frauen bzw. Mädels („Deutschland ist weiß, oder?“), bevorzugt in Gruppen ab von mindestens vier Personen unterwegs und mit Sekt aus der Pulle bewaffnet
2. noch viel schlimmer, Menschen die einem früher schief anguckten wenn man erzählte, dass man zig Stunden zum Auswärtsspiel des einzig wahren Clubs gefahren ist und nun, welch Wunder, DER Fan der Stunde sind und sich aufregen, warum der Ballack nicht so spielt wie bei Manchester immer (oder war’s Arsenal? Egal)…
3. Leute die denken, dass ja Deutschland immer gewinnt und auch immer die beste Mannschaft war und ist und sie deswegen auch in Zukunft immer gewinnen müssten (vermutlich auch zum Großteil angehörig der „Ultras“ – Coco Cola Fanclub Nationalmannschaft) und bei Niederlage lag’s selbstverständlich am Schiedsrichter, am Platz, unwichtigem „Testspiel“, der Sonne oder anderen Wettererscheinungen…

Weiteres Highlight welches seit der letzten WM aufwartet ist, dass sämtliches Gerümpel, welches früher noch nicht mal seine Daseinsberechtigung auf dem Wühltisch bei KIK hatte, nun in den Drei Farben des Sommer umgespritzt oder eingefärbt wird, danach dem „Gemeinen Deutschen“ präsentiert und vor den Bug geschmissen wird, sodass sich der Arme nicht retten kann und im EM-Wahn den Mist kaufen „muss“ als gäbe es kein Morgen.

Unübertroffen sind aber die Autofahnen. Vor Jahren einfach nur peinlich beziehungsweise undenkbar, scheinen die Menschen mittlerweile, und vermutlich ob der Fülle geblendet, umgeschwenkt zu sein. Wer ein aufrichtiger „Deutscher“ sein will, der hat gefälligst sein Auto mit wenigstens einer Fahne zu verschandeln äh zu beflaggen. Inflationär ist somit das Vorkommen, sodass es nicht möglich ist, auch nur 10m in der hinterletzten Gasse zu gehen, ohne die Drei Farben des Sommers zu sehen. Besonders hippe Zeitgenossen schaffen das Kunststück mit fünf (!) Fähnchen am Auto durch den TÜV zu kommen, jeweils vier Fahnen an den Fenstern sowie eine an der Antenne, Deutschlandschal neben der Klopapierrolle auf der Hutablage, Hawaii-Kette (selbstverständlich in den Drei Farben des Sommers) um den Spiegel und der Fahrer glotzt einen dann durch seine aufgesetzte Deutschlandbrille und in seinem KIK-Germany-Trikot noch an und fragt sich, warum man einfach nur noch den Kopf schüttelt…

An den Spieltagen der deutschen Elf, und nur dann, denn die anderen Länder sind selbstverständlich Dritte-Welt in Sachen Fussball, versammelt sich dann die ganze Bandbreite des illustren Publikums (siehe oben) zum „Public Viewing“, um dem Event des Sommers bei zu wohnen. Selbstverständlich komplett in den Drei Farben des Sommers eingehüllt. Fußball war früher viel Sport mit Emotionen, einwenig Bier und Bratwurst und Geschichten um unvergessliche Siege und schmerzhafte Niederlagen und ansonsten nix anderes!

Heute ist es zu einer Pflichtveranstaltung wie der wöchenendliche Diskoausflug oder geworden zum „Public Viewing“ zu gehen um dort bei Cocktails und Biermischgetränken der deutschen Mannschaft zuzujubeln. Bei Sieg macht man dann Autokorsos und Hupkonzerte, bei Niederlage ist natürlich der Gegner Schuld und deren Anhänger bekommen eine aufs Maul, falls diese sich auch nur ein wenig zu viel freuen sollten. So gesehen bei der WM vor zwei Jahren, als man meinte, dem Italiener doch zeigen zu müssen, dass man der wahre Weltmeister wäre! Ich sage nur, zu Gast bei Freunden, aber nur bis zum Anpfiff!

Und genau dort liegt der Knackpunkt des so genannten neuen „Nationalstolzes“ – Egoistisches Geprolle, Fahne schwenken ohne Sinn und Verstand und ales Höhepunkt mit der Masse den „Events“ beizuwohnen weil es ja jeder so macht und es gerade DER Trend ist! Wer nicht mitmacht ist automatisch Außenseiter, Landesverräter und der Buhmann für mindestens drei Wochen. Danach ist der Spuk ja meistens wieder vorbei und man kann wieder richtigen Fußball gucken. Vielleicht auch eher, denn es kommt drauf an wie weit Deutschland kommt …

Leute die nicht ins Konzept passen, das fängt beim Daumendrücken für eine anderes Team an und hört beim Tragen der Trikots oder das Schwenken einer Fahne irgendeines anderen Teams auf, werden doof angemacht und mit Sprüchen bombardiert, „was man denn für ein Patriot sei“ oder „kein richtiger Deutscher“?

Man mag es kaum glauben, denn guter Fußball wird reichlich gespielt bei diesem internationalem Vergleich. Für manche Leute geht es nämlich noch ums eigentliche Spiel, man freut sich für das Team, welches den attraktiveren, herzzereißenderen oder ergreifenderen Fußball spielt und genießt das Spiel. Das ist doch das Herzstück dieses Sportes, die unterschiedlichsten Kulturen zu verbinden, zusammen feiern und dem besseren Team einfach den Sieg gönnen – es ist und bleibt ein Spiel, indem 22 „Bekloppte“ der Pille hinterher jagen. Hier zählt der olympische Gedanke: „Dabei sein ist alles!“

Es heisst Grenzen überwinden, welche nur auf dem Papier eingezeichnet sind! Denn als „Deutscher kennzeichnet“ micht nur mein Pass – sonst nix! Ich kann für das Team meiner Wahl sein. Es ist auch jedem frei gestellt für Deutschland zu sein. Nur bei dieser EM unterstütze ich dieses Land nicht. Punkt – Aus – Ende!

Hörtipp zum Nachdenken: Muff Potter – Punkt 9 (mp3 – 2,6MB – freier Download von Universal Music)

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