Ein Erlebnisbericht zum Minsker Lokalderby. Das Tabellenschlusslicht der ersten belarussischen Fußballliga, Partizan, empfing den Drittplatzierten FK Minsk. Schon in der Metro und auf dem Weg zum landesweit zweitgrößten Stadion merkte man, dass das Spiel wohl eher auf wenig Interesse stoßen würde.
Denn die Offiziellen verschoben alle Spiele aufgrund der anhaltenden Hitze um vier Stunden, auf 18.00 Uhr nach hinten, doch das Thermometer dürfte wohl immer noch jenseits der 30°C gestanden haben. Und Eishockey ist nun mal, auch dank des Präsidenten, der unangefochtene Volkssport Nummer Eins.
Von der U-Bahnstation „Traktorni sawod“, genau am Haupttor der bekannten Belarussischen Traktorenwerke, waren es nur ein paar Gehminuten zum „Traktor Stadion“ der Heimmannschaft Partizan Minsk.
Nach kurzer Erkundigung fanden wir auch die kleine Kasse des in einer Parksenke eingebetteten Stadions, an der sich schon eine lange Schlange bildete. Plötzlich kamen gut 10 Milizionäre und nahmen den Großteil der anstehenden Fans – vermeintliche Gästefans – mit, und begleiteten diese zu ihrem Block. Somit standen wir plötzlich nahezu direkt an der Kasse, nur noch zwei auffallende aufreizend gekleidete Damen, mutmaßliche Spielerfrauen, standen vor uns.
Der Eintrittspreis war nicht der Rede wert (umgerechnet rund 1,30€), doch leider war das Programmheft schon ausverkauft (sorry Markus!). Vielleicht waren die Fans ja alle schon längst im Stadion, denn schließlich waren wir erst knapp vor Anpfiff angekommen. Erwähnenswert wäre noch, dass jeweils fünf Eintrittskarten auf ein A4 Blatt gedruckt wurden, und die Kassiererin, natürlich die obligatorische Babuschka, jedes einzelne Ticket mit Hilfe eines Lineals heraustrennen musste.
Die Taschenkontrolle war für die Belarussen ziemlich ausgedehnt und wurde auch nicht vom Stadiondienst, sondern von der Miliz übernommen. Für uns „Ausländer“ wurden die Augen zugedrückt und nach der Ticketkontrolle des Stadionpersonals waren wir drin in der „Arena“. Erste Ernüchterung machte sich breit, denn erstens gab es ein komplettes Alkohol- sowie Rauchverbot innerhalb des Stadions (in Belarus ist es sowieso verboten in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken, mit Ausnahme von „Biergärten“ und ähnlichem), zweitens keinerlei sichtbare sanitäre Einrichtungen und drittens keinerlei Verkaufsstände oder ähnliches. Im Stadion konnte man sich dann aber auf der Haupttribüne die besten Plätze heraussuchen, also wenigstens etwas „Freiheit“. Für die schätzungsweise 1.000 bis 2.000 800 Fans wurde dann aber verhältnismäßig viel Miliz aufgefahren die den Ordnungsdienst nahezu komplett übernahmen. So standen sich auch rund um das Stadion und besonders dort, wo man von einer Anhöhe aus hinein ins Stadion schauen konnte. Normale Ordner gab es nur um den vermeintlichen „Ultra“-Block Partizans links unserer Haupttribüne gegenüber.
Nach kurzer Wartezeit mir Dance-Musik ging es dann auch schon los. Jeweils vier Kinder hielten die beiden Vereinsfahnen für den Einmarsch hoch, dann liefen die Mannschaften und das Schiedsrichtergespann aufs englisch anmutende Grün. Als sich alle aufgestellt hatten und alles ablief wie bei einem Champions-League-Spiel, wurde die belarussische Nationalhymne eingespielt. Das Publikum erhob sich – ich „sicherheitshalber“ auch.
Das Spiel begann dann recht flott, die Gästefans postierten sich in einem von Milizen eingerahmten Block rechts von uns auf der Gegentribüne, blieben aber das ganze Spiel hinweg stumm und bewegten sich auch kein Stück. Anfangs waren auch die „Heimultras“ noch ruhig. Nur ein paar versprengte Partizanfans in der Nähe wedelten mit ihren weiß-roten Fahnen. Letztendlich konnte man aber an den wenigsten Zuschauern erkennen, für wenn sie denn nun die Daumen drückten, da sie beiden Mannschaften und deren Aktionen zujubelten und praktisch keiner ein Fanutensil bei sich trug. Zudem war das Publikum auch ziemlich ungewöhnlich durchmischt: die mutmaßlichen Spielerfrauen (die oben erwähnten Zwei saßen direkt vor uns, weiter unten noch mal eine große Gruppe mit Babys), die sich das komplette Spiel über mit ihren Nachbarinnen unterhielten, (nach-)schminkten und Lolli lutschten, dann ein paar Neureiche, die in „Ed Hardy“-Klamotten nach den vermeintlichen Spielerfrauen Ausschau hielten, etliche „ehemalige Fußballtrainer“ die unentwegt ihren Senf zum Spiel abgeben mussten (den man bei der geringen Geräuschkulisse bis auf den Platz hören musste) und dann noch viele Kinder und Jugendliche.
Der Ultrablock wusste ab Mitte der ersten Halbzeit mit lauten Gesängen und einer Trommel zu überzeugen, wobei der Block erstaunlicherweise zur Hälfte weiblich war und im Altersdurchschnitt 17 Jahre alt sein musste. Gegen Mitte der ersten Halbzeit gab es bei uns „Ausländern“ kurze Konfusion, als das Spiel unterbrochen wurde und wir uns ernsthaft fragten, ob man in Belarus nur 60 Minuten spielte. Es stellte sich heraus, dass der Schiedsrichter zur Trinkpause unterbrochen hatte (diese wurde ebenfalls wegen der Hitze eingeführt), zur zweiten Halbzeit wiederholte sich diese Prozedur ein weiteres Mal.
Nach der ersten Hälfte stand es dann 1:1. Komischerweise wurde in der Pause der komplette Gästeblock „geräumt“, deren Mitglieder tauchten dort auch im Lauf der zweiten Halbzeit nicht mehr auf – nur vereinzelt erschienen sie auf der Haupttribüne. Dasselbe passierte mit dem Heimblock – kurz vor Wideranpfiff verließen alle Blockinsassen, auch die Stadionordner, den Block und kamen erst nach und nach wieder zurück, alle mussten aber noch einmal die Eingangskontrolle durchlaufen. Trotzdem war am Ende der Block nur noch halb so groß.
In der zweiten Halbzeit drehte dann der Minsker Fußballklub weiter auf und erhöhte schlussendlich auf 1:4, wobei die Partizaner Abwehr sehr hilf- und kraftlos wirkte und dem Sturm mangelte es schlicht an Glück. So ruhig eigentlich das ganze Spiel im Stadion verlaufen war (von den kurzes Gesangseinlagen der Ultras einmal abgesehen), so ruhig verließ die kleine Masse auch wieder das Stadion, und schon etwas entfernt vom Stadion konnte man kaum erahnen, dass dort Fußballderby stattgefunden hatte.