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Las Vegas am Schwarzen Meer

Es scheint wie eine postsowjetische Erfolgsgeschichte: Innerhalb weniger Jahre wandelte sich die georgische Hafenstadt Batumi vom abtrünnigen Sorgenkind zur Glücksspielhochburg mit zahlreichen Luxushotels. Doch nun lassen Überkapazitäten und Bauruinen eine überdrehte Entwicklung erkennen.
Batumi
Selbst weit nach Mitternacht ist die Strandpromenade noch äußerst belebt. Illuminiert von blinkenden Neonlichtern der Fahrgeschäfte und unter den Zurufen zahlreicher fliegender Händler flanieren Touristen über den Boulevard. „Die Stadt lebt nachts“, schwärmt Nadine Fernbacher. Die Deutsche führt das Radisson Blu Hotel in unmittelbarer Nähe. Jetzt in der Hauptsaison, die von Mitte Juni bis Mitte September dauert, „sind wir bis auf wenige Zimmer ausgebucht“, erklärt sie.

Anders sieht es im Winter aus, „dann sind zwei Drittel weniger Gäste da.“ Insbesondere zu dieser meist regnerischen Jahreszeit zieht das Casino im Erdgeschoss des modernen Glashochhauses Besucher an. Dies sei der beste Kunde, so Fernbacher.

Nadine Fernbacher.

Doch auch jetzt im Hochsommer kommen viele Gäste nicht wegen der Strände, der Sonne oder dem weit über die Landesgrenzen gerühmten georgischen Essen und dem Wein. Es locken die Spielsalons. Deren Werbung dominiert das Stadtbild, riesige Banner überspannen die Zufahrtsstraßen. Innerhalb weniger Jahre hat sich Batumi von einem zwischenzeitlich eher verschlafenen Badeort zur Glücksspielhochburg der ehemaligen Sowjetunion gewandelt. „Ganz offenstichtlich“, so Fernbacher, „befinden wir uns im Las Vegas am Schwarzen Meer.“
Batumi
„Um die Jahrtausendwende gab es hier nur zwei größere Hotels sowie einige Pensionen“, erinnert sich Rostom Beridse. Er ist Dekan der Tourismus-Fakultät der örtlichen Universität. Noch zu Sowjetzeiten war Batumi ein beliebter Erholungsort. Beridse zufolge galt die Region allerdings nach dem Bürgerkrieg und den kriegerischen Konflikten in Abchasien und Südossetien Anfang der 1990er Jahre lange Zeit als „wenig sicher“. Zeitgleich hatte der autokratische Lokalfürst Aslan Abaschidse die Autonome Republik Adscharien mit dessen Hauptstadt Batumi quasi in seinen Feudalbesitz umgewandelt. Die wenigen ausländischen Besucher seien damals mehrheitlich aus der Ukraine gekommen, so der Uni-Professor.

Die Kehrtwende erfolgte mit dem Regierungswechsel nach der sogenannten Rosenrevolution 2003: Der ins Amt gewählte Präsident Micheil Saakaschwili vertrieb nicht nur Abaschidse. Das georgische Staatsoberhaupt erklärte auch den Tourismus zur obersten Priorität der neuen Regierung, die Schwarzmeerstadt nannte er sogar seine „Tochter“. Dem folgten Taten: Die Saakaschwili-Regierung investierte kräftig in die Infrastruktur, zugleich umgarnte sie ausländische Reiseveranstalter mit großzügig finanzierten Touren durchs Land und versuchte Besucher mit Konzerten internationaler Musikstars ins Land zu locken.

Rostom Beridse.

Den Beginn des Booms von hochpreisigen Hotels schreibt Professor Beridse dem Bau des Sheraton Hotels im Mai 2010 zu. Zur Eröffnung reiste neben Saakaschwili auch Recep Tayyip Erdoğan nach Batumi. Laut des regionalen Tourismusamts schnellte die Anzahl der registrierten Unterkünfte allein in den letzten drei Jahren von 100 (mit etwa 4400 verfügbaren Betten) auf 227 (10.500 Betten) im Jahr 2015 in die Höhe.

Ein großes Online-Buchungsportal gibt derzeit 17 Hotels mit vier oder fünf Sternen für die Stadt mit 153.000 Einwohnern aus. Zwar scheint die Zahl von offiziell insgesamt über 1,1 Millionen Übernachtungen im vergangenen Jahr hoch. Jedoch belegen die vom Tourismusamt ausgegebenen Zahlen auch, dass die ganzjährige Auslastung in Adscharien nur bei etwa ein Fünftel liegt. Beridse befindet daher, dass Saakaschwili teilweise zu viel gewollt habe, „die Entwicklung ging zu schnell.“
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Motor dieses Prozesses sind die Casinos. Schota Amiranischwili führt die Spielbank im Sheraton Hotel seit dessen Eröffnung. Im Jahr 2013 gab es in Batumi bereits deren sechs, aktuell sind es zwölf – „zudem entstehen in den nächsten zwei Jahren fünf neue Casinos“, berichtet der Spielsalonmanager.

Einerseits begünstigt die geografische Lage das Glücksspielgeschäft, denn in den meisten Nachbarstaaten ist es verboten. Amiranischwili schätzt, dass etwa 95 Prozent seiner Gäste aus der Türkei kämen, deren Grenze kaum 20 Kilometer entfernt liegt. Andererseits sei aber auch Saakaschwilis „Vision einer Glücksspielregion“ für die sprunghafte Entwicklung verantwortlich.

Schota Amiranischwili.

So führte seine Regierung eine spezielle Steuerregelung für Adscharien ein. Die Betriebskonzession für Casinos kostet in der Hauptstadt Tbilissi jährlich 5 Millionen Lari (etwa 2 Millionen Euro), in Batumi nur 250.000 Lari (100.000 Euro). „Und selbst die entfällt für 10 Jahre, wenn mit dem Casino zugleich ein Hotel errichtet wird“, erklärt Amiranaschwili. Hinzu kommen weitere Steuerbegünstigungen in der Schwarzmeerregion.

„Noch vor drei Jahren war ein guter Zeitpunkt, um hier zu investieren“, konstatiert Eduard Feldman. Der Ukrainer ist Geschäftsführer des Golden Palace. Seine Geschäftspartner und er steckten viel Geld in das Haus am Theaterplatz und in Werbespots im türkischen Fernsehen. „Doch der Wettbewerb ist hart“, gibt Feldman zu. „Wir waren die ersten, die eine Lotterie und Jackpots einführten, von Anfang an veranstalteten wir zudem Konzerte, Balletshows und Kabaretts – nun machen das alle.“ Aus seiner Sicht sei es mit der derzeitigen Anzahl der Casinos „genug.“ Auch Wettbewerber Amiranischwili hält das Potential für ausgeschöpft, „schon jetzt gibt es zu viele Casinos.“ So musste vor Kurzem bereits das erste Casino schließen.
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Von der Abteilung für Tourismus in Adscharien werden die Spielbanken nicht offiziell beworben. „Diese sind so stark aufgestellt, dass sie nicht unsere Hilfe benötigen“, erklärt der Abteilungsvorsitzende Mamuka Berdsenischwili. Der studierte Soziologe streitet mögliche negative Effekte auf die Gesellschaft nicht ab: „Fakt ist aber, dass diese Industrie tatsächlich funktioniert und einen wichtigen Teil der lokalen Wirtschaft darstellt – insbesondere in der Nebensaison.“ Obendrein würden die Casinos die Nachfrage in anderen Bereichen ankurbeln.

Uni-Dekan Beridse sieht das anders: Batumi sei ein Ort für Glücksspiel geworden. Die Gäste würden meist in den Hotels bleiben, wo sie auch spielen. „Sie haben gar kein Interesse an anderen Aktivitäten.“

Auch nach dem Regierungswechsel 2012 und dem Abtreten von Saakaschwili ein Jahr später habe es „keinen wesentlichen Strategiewechsel“ gegeben, betont Tourismuschef Berdsenischwili. Allerdings lege die neue Regierung ihren Fokus vermehrt auch auf andere Regionen. Trotzdem haben auch in den vergangenen Jahren große internationale Marken Hotels in Batumi eröffnet, wie Hilton im Mai 2015. Mittlerweile scheint der Markt jedoch überreizt. Sinnbild dafür sind einige Bauruinen im Zentrum oder Baustopps einiger markanter Hotelprojekte. So sollte das Kempinski Hotel direkt auf der Landspitze und mit Panoramablick auf das Schwarze Meer eigentlich schon Ende 2009 fertig gestellt sein.

Auch wird die steigende Nachfrage nach bislang nahezu komplett fehlenden Mittelklasse-Hotels von den nicht-registrierten Unterkünften befriedigt, wie selbst Berdsenischwili zugeben muss. Er schätzt das mindestens 10.000 Betten von den Einheimischen zur Verfügung gestellt werden – ohne dafür Steuern zu bezahlen. Insbesondere russischsprachige Touristen und Georgier nutzen diese Art der preiswerten Übernachtung. Den Casinos bleiben diese Besucher jedoch in den meisten Fällen fern.
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