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Gebete in der Zahnarztpraxis

Happy Ramadan                                                 رمضان مبارك
© Mohammad Khedmati

„Gebete in der Zahnarztpraxis – Islamisches Leben in Jena (Teil 1)“, erschienen in Akrützel Nr. 290

Ahmed und Asil begrüßen sich wie Freunde, die sich lange nicht gesehen haben. Doch eigentlich haben sie fast jeden Tag zusammen Seminare. Beide studieren Deutsch als Fremdsprache und möchten ihren Master in Jena erlangen. Und beide sind Muslime, zwei von hunderten in der Studentenstadt, denn die Mehrzahl der Teilnehmer des in wenigen Minuten beginnenden Freitagsgebets sind ausländische Studenten. Noch nicht allzu viele von ihnen haben sich heute in der Jenaer Moschee am Ende der Wagnergasse eingefunden. Vereinzelte arabische, englische und deutsche Wortfetzen sind in den Räumen der ehemaligen Zahnarztpraxis zu hören. Weitere Muslime kommen nach und nach in den Gebetsraum, verbeugen sich zweimal, und setzen sich zu den anderen auf den Teppichboden. Es ist schon längst 13 Uhr und die Predigt sollte beginnen, doch der Imam wartet noch. Es sei zwar besser die Gebetszeit genau einzuhalten, aber in Jena sei man da flexibel. „Wir sind hier ein bisschen toleranter, denn bei den großen Moscheen wird der genaue Zeitpunkt je nach Sonnenstand geändert“, erzählt Asil. Im Falle von Jena sei das einfach praktischer, denn der größte Teil der Betenden besteht neben den Studenten aus Doktoranden, Wissenschaftlern oder Angestellten, sodass man die Gebetszeit auf die Mittagspause gelegt hat. „Ich bin daran gewöhnt zu dieser Zeit in die Moschee zu gehen, ich kann also in der Pause das Gebet verrichten und gehe danach wieder zur Arbeit oder an die Uni“, erklärt der aus Usbekistan stammende Asil.

Koranverse zur Einleitung

Zu Beginn des Freitagsgebets trägt der Imam die Koranverse fast singend vor. Spätestens jetzt fühlt man sich in den Orient versetzt. Alle Betenden hören dem Imam aufmerksam zu. Frauen sind nicht unter den Anwesenden, sie beten aus religiösen, aber auch aus Platzgründen in einem Nebenraum, wohin per Lautsprecher das vom Imam Gesagte übertragen wird. Anschließend beginnt eine Predigt, die nur beim Freitagsgebet anstelle des obligatorischen Mittagsgebets vorgetragen wird. Meistens, so auch heute, hält diese der Vereinsvorsitzende des Islamischen Zentrums Jena, welchem auch die Moschee angehört. Zum Leidwesen von Asil, der nur wenige Worte arabisch versteht, referiert Ali Elasfceur in der‚Sprache des Korans. Andere Imame, erzählt Asil später, übersetzen die Chutba, den gesonderten Vortrag am Freitag, auch ins Englische oder Deutsche. Elasfceur erzählt, dass er schon lange in Jena ist. Dem studierten Maschinenbauer zufolge haben die Studenten aber nie Zeit, weswegen sich unter der Woche in der Regel nur zehn Betende einfinden.

Abgesehen vom obligatorischen Freitagsgebet muss man die vorgeschriebenen fünf Gebete pro Tag nicht in der Moschee abhalten. Allerdings sind die wenigsten Betenden auch Vereinsmitglieder. Seit 1999 gibt es diesen schon in Jena, nach dem Umzug aus der Knebelstraße vor ein paar Jahren werden die neuen Räume als Gotteshaus genutzt. Die sunnitische Moschee dient auch als Treffpunkt, um mit anderen Gläubigen in Kontakt zu kommen. „Es ist ein Querschnitt durch die islamische Welt: hier gibt es viele Araber, einige Pakistani, Chinesen, Inder, Tschetschenen, aber auch drei, vier Deutsche“, so Salah Azaza, der aus Tunesien stammende stellvertretende Vorsitzende. Der Verein richtet sich vorrangig an Muslime, beispielsweise organisiert er eine Koranschule für Kinder, Tajweed-Unterricht für Männer, also das Erlernen der Rezitation des Korans, sowie Arabisch-Kurse für alle Interessierten. „Auch speziell für Frauen“, wie Elasfceur betont. Die Moschee steht immer offen, jederzeit sind auch Nichtmuslime willkommen, wie der Vereinsvorsitzende hervorhebt. Einen herausragenden Anlass bietet der auf den 3. Oktober gelegte bundesweite „Tag der offenen Moschee“. Mit dem bewusst gewählten Termin am Tag der Deutschen Einheit wollen die Muslime Integration und ihre Verbundenheit mit der Gesamtbevölkerung zum Ausdruck bringen. Im vergangenen Jahr kamen zwar nur einige Besucher, schildert Elasfceur, „aber wir hatten auch nicht groß Werbung gemacht“.

Für Asil war es, als er im Oktober 2009 nach Jena kam, noch nicht selbstverständlich in die Moschee zu gehen, da er die Religion bis dahin nicht so ernst genommen hatte. „Ich bin zwar Moslem, aber den Ritualen konnte ich aus Zeitmangel nicht nachgehen.“ Das Studium in Deutschland biete für ihn weitaus mehr Freizeit, die dann auch für das etwa zehnminütige Gebet genutzt werden könne. Asil war auch etwas skeptisch, als er nach Deutschland kam, denn er bestätigt, dass auch er etwas Angst wegen des schlechten Bildes des Islam und des Generalverdachts in Europa hatte und sich deshalb am Anfang von der islamischen Gemeinschaft fern hielt. Mit der Zeit hat er viele Leute wie seinen Kommilitonen Ahmed kennen gelernt und ist dann auch zur Moschee gekommen. Mittlerweile fragt der normalerweise an einer sudanesischen Uni arbeitende Ahmed nur noch: „Kommst du mit in die Moschee – ja oder nein?“

Leichte Entscheidung

Für Asil fällt die Antwort dann ganz pragmatisch aus: „Wenn ich ein Seminar während der Gebetszeit verlassen müsste, dann könnte ich ja etwas Wichtiges verpassen.“ Die Uni geht also vor. Zudem erlauben auch die Gebetsvorschriften eine freiere Auslegung. „Da ich verheiratet bin, bete ich meistens zu Hauseoder wenn ich zwei Gebete verpasst habe, kann ich die in der Moschee zusammen nachholen“, erläutert Asil den Ablauf. Das wichtigste sei aber letztlich, „dass einen die Religion nicht belastet, denn sie sollte einem das Leben ja eher leichter machen.“ Zumindest beim Freitagsgebet macht die Uni die Entscheidung einfach – denn an diesem Tag haben Asil wie Ahmed keine Seminare.

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