Immer pünktlich werden in der späten Nacht die Metallgitter geschlossen, die das Wohnheim von der Außenwelt abgrenzen. Entweder man ist draußen und muss zusehen, wie man die Nacht bei – für mitteleuropäische Verhältnisse extremen – Minusgraden bis zum nächsten Morgen herum bekommt. Oder man macht aus den Umständen eine Tugend und feiert (leise natürlich) in einem der Zimmer.
Ich war überrascht, wie diese aussahen: Statt erwarteter Massenmenschhaltung und -dusche, verfügen hier jeweils die Ein- bis Zweibettzimmer über ein recht modernes Bad mit Wanne. Die Zimmer der ausländischen Gäste sind zwar renoviert, stilvoll mit schweinchenfarbener Tapete inklusive Glitzerapplikationen und mit neuen Fenstern versehen, doch von der räumlichen Aufteilung und Ausstattung sind diese mit den Räumen unserer meist zentralasiatischen, chinesischen und mongolischen Mitbewohner identisch.
Die Irkutsker Staatlich-Technische Universität gibt dem Stadtteil, der dem Zentrum gegenüberliegt, wie so oft den Namen: Studgorodok. In der 1930 gegründeten Hochschule sind gut 22.000 Studenten immatrikuliert. Es ist eine typische Campus-Uni, vom kleinen Fußballstadion, welches im Winter von zahlreichen Ski-Langläufern genutzt wird, über zahlreiche Mensen und noch mehr Wohnheime, gibt es sogar eine Bank. Letztere hat den Vorteil eines offenen W-LAN-Netzes, welches des Öfteren als Alternative zum chronisch überlasteten Hotspot der Uni herhalten muss. Allerdings achtet der Wachmann der Bank aus Ermangelung anderer Aufgaben peinlich darauf, dass man diesen Luxus nur draußen nutzen kann. So steht man dann mit dem Laptop bei etlichen Minusgeraden vor der Tür, nur um schnell seine E-Mails checken zu können (oder eben diesen Artikel online zu stellen).
Die Minusgerade haben allerdings auch einen Vorteil: Die Studenten nutzen die Fensterbänke als größten Gefrierschrank der Welt, um Pelmeni oder Borschtsch gefroren zu halten – das russische Nationalgetränk wird dort selbstverständlich auch gekühlt.