Das auffällige Gelb leuchtet im dichten Straßenverkehr. Die Farbe ist unverkennbar, doch sie scheint fremd zu sein in Almaty. In der größten Stadt Kasachstans rumpeln seit einigen Monaten ausgemusterte Straßenbahnen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Das Gelb der öffentlichen Verkehrsmittel der deutschen Hauptstadt blieb, anstatt Werbung schmückt nun das Almatyer Stadtwappen die Seiten der Wagons.
Auf der zentralen Hauptstraße Tole Bi, die die Stadt von West nach Ost durchkreuzt, quälen sich die Berliner Trams während der Stoßzeiten durch das alltägliche Verkehrschaos. Sie scheppern über das ausgefahrene und überholungsbedürftige Gleisbett. Bereits seit 1999 fahren dutzende Trams deutscher Herkunft durch Almaty. Die ehemals Berliner, Schweriner oder Dresdner Bahnen haben jedoch ausgedient, die russischen aus Sowjetzeiten sowieso. Diese hätten vor allem Probleme mit dem Antrieb und der Elektrik bereitet, kritisiert Abdibek Muchamedschanow, Direktor des Straßenbahndepots von Almatyelektrotrans. „Die tschechischen Tatra-Bahnen waren viel besser!“ Deswegen habe man im Frühjahr 2013 erneut 17 Tatras aus Berlin gekauft, erläutert Muchamedschanow. Er selbst fährt jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit.
Muchamedschanow sitzt am Schreibtisch seines großen Büros direkt neben dem Depot, eine Büste von Abai Qunanbajuly, dem kasachischen Goethe, bewacht die Szenerie. „Wir kaufen in Deutschland, weil wir dort gute Kontakte haben“, berichtet der 60-Jährige, der bereits persönlich in Berlin und Dresden die Betriebshöfe besuchte. Die ‚deutschen‘ Tatras würden auch von Ukrainern, Rumänen oder Russen gekauft, weiß Muchamedschanow, sogar im fernen Wladiwostok würden sie noch fahren.
Mit einem Abschluss der Charkower Straßenbau-Fakultät kam Muchamedschanow 1976 als Praktikant zur Straßenbahn nach Almaty, und blieb. Dort arbeitete er zuerst als Mechaniker, ab 1989 überwacht er als Direktor des Depots den Betrieb. Als ehemaliger Praktiker kennt er sich mit den Trams aus. „Die Qualität der Bahnen, die aus Deutschland kommen ist gut, weil sie dort gepflegt werden. Bei uns fehlt ein regelmäßiger Service, die Mitarbeiter haben weniger Erfahrung und sind schlechter ausgebildet.“
Mechaniker Schuchrat Rassanow arbeitet an den neuen Berliner Straßenbahnen, fünf fahren bereits, die sechste wird gerade abgefertigt. Viel zu werkeln sei an den Trams eigentlich nicht, denn diese seien bereits fast fertig: „Einzig die Spurweite müssen wir ändern“, von Berliner 1435 Millimetern in den Almatyer Standard von 1524 Millimeter. Daneben wird in jedem Wagen ein Ticketautomat installiert. Für den gesamten Umbau eines Wagons bräuchten die Arbeiter mindestens eine Woche, schätzt Rassanow.
Der gesamte Fuhrpark des Almatyer Depots umfasst 19 Fahrzeuge, wovon allerdings nur 12 fahren. Eigentlich sollten die 1999 gekauften Bahnen aus Deutschland nur fünf Jahre fahren, doch sie rumpeln teilweise bis heute durch die Stadt. Tapfer bedienen sie die zwei übrig gebliebenen Linien 4 und 6, einstmals gab es zehn. Ein Engpass besteht nicht, „wir setzen die neuen Berliner Bahnen erst ein, wenn eine alte kaputt geht.“, erläutert Depotdirektor Muchamedschanow. Somit warten die meisten Bahnen noch auf ihren Einsatz auf Almatys Schienen. Ihre Türen sind nach wie vor verplombt oder abgeklebt, Werbeposter der Berliner Eisbären oder Fahrplanänderungen der BVG erinnern noch an die frühere Besitzerin.
Obwohl die Tatras einen Fortschritt gegenüber den russischen Trams bedeuteten, hätten sie einen großen Nachteil: Die Heizung ist nicht auf zentralasiatische Winter ausgelegt, klagt Galina Aleksejewa. Sie fuhr zwanzig Jahre lang sämtliche Typen in Almaty, seit 2005 arbeitet sie als Dispatcherin am Eingang des Depots und kontrolliert die Fahrtrouten an ihrem Computer. „Denn wenn es im Winter kalt war, dann verkühlte man sich in den Tatras den Hintern – dort ist der Fahrersitz aus Plastik.“
In Berlin bedienten die verkauften Bahnen alle Linien des Netzes und waren seit 1983 bis zur Ausmusterung Anfang diesen Jahres in Betrieb, heißt es aus der BVG-Pressestelle auf Anfrage. Zu den Almtyer Verkehrsbetrieben bestehe kein direkter Kontakt, heißt es weiter, da ein Zwischenhändler die Straßenbahnen erstand und dann nach Kasachstan weiterverkaufte. In insgesamt vier Etappen wurden zwischen Mai und Juli jeweils vier beziehungsweise fünf Bahnen nach Kasachstan geschafft. Vom Betriebshof Lichtenberg wurden sie per LKW zur Deutschen Bahn und dann per Schiene nach Almaty transportiert. Dort kann man nun für 80 Tenge (umgerechnet rund 40 Cent) die Fahrt in den ersten fahrtüchtigen Berliner Straßenbahnen genießen – wenn man nicht im Stau steht.
Dieser Beitrag erschien am 4. Oktober 2013 in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“. Er entstand im Rahmen der siebten Zentralasiatische Medienwerkstatt in Almaty.