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Jenisseisk – „Vater der sibirischen Städte“

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Die Türmchen der Jenisseisker Himmelfahrtskirche

Die sonntägliche Busverbindung von Lesosibirsk ins etwa 45 Kilometer flussaufwärts gelegene Jenisseisk ist äußerst spärlich, daher heißt es früh aufstehen. Das 18.000-Einwohner Städtchen ist das eigentliche Ziel meiner Reise in den Norden. Trägt doch der Ort den Beinamen „Vater der sibirischen Städte“, da er Anfang des 17. Jahrhunderts der erste Ort am Jenissei und damit bis ins 18. Jahrhundert hinein das Tor Ostsibiriens war. So begannen in Jenisseisk unter anderem jene Expeditionen, die zur Gründung von Krasnojarsk und Irkutsk führten. Jedoch ist der Ort heute eher unbedeutend und verschlafen, abgesehen vom Raketenkontrollzentrum am südlichen Stadtrand. Allerdings lassen die noch zahlreich vorhandenen alten und teilweise prachtvollen Steinbauten ansatzweise die einstmalige Bedeutung erkennen, die im 18. und 19. Jahrhundert auf dem Gold- und Pelzhandel beruhte.

Eindrücklich beschreibt der norwegische Polarforscher und spätere Friedensnobelpreisträger Fridtjof Nansen seine Ankunft im September 1913 in Jenisseisk: „Endlich näherten wir uns der großen Stadt, […] je näher wir kamen, um so zahlreicher stiegen Kuppeln und Türme weißer Kirchen grün und goldglänzend über dem Flußspiegel und der Ebene empor. Wieviele Kirchen, weiß ich nicht, aber mindestens zwölf oder dreizehn habe ich gesehen. Im übrigen besteht die Stadt hauptsächlich aus Holzhäusern, zwischen denen einige wenige höhere, weiß getünchte gemauerte Häuser liegen. […] Die ganze Promenade und der Leichter waren schwarz von Menschen, und es gab einen großartigen Empfang: an der Spitze der Bürgermeister […], der ebenfalls uniformierte Gymnasialdirektor und andere Honoratioren. Es wurden Begrüßungsreden auf Russisch und auf Deutsch gehalten […].“

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„In diesem Gebäude machte im September 1913 der bekannte Arktisforscher Fridtjof Nansen Halt.“

Ganz so opulent ist mein Ankommen natürlich nicht, aber auch Ekaterina und Sergej, meine Gastgeber aus Lesosibirsk, die mich nach Jenisseisk begleiten, haben ein kleines Empfangskomitee vorbereitet: Ein befreundetes Paar wird uns seinen Heimatort zeigen. Sie hatten sich nach kurzem Telefonat spontan bereit erklärt uns durch das sonntägliche Jenisseisk zu führen.

Allerdings ist der Zeitpunkt der Sightseeingtour denkbar ungünstig: Mit der Einrichtung des sibirischen Traktes durch Krasnojarsk und mit der Verlegung der Hauptstadt des Jenissei-Gouvernements dorthin begann der Abstieg Jenisseisks, die Steinhäuser im sibirischen Barockstil zerfielen vor allem in der Sowjetzeit zusehends. Just im Frühjahr dieses Jahres begannen gleichzeitig an Dutzenden Häusern umfangreiche Rekonstruktionsarbeiten. Diese werden mit föderalen Mitteln des Ministeriums für Kultur durchgeführt, der zielstrebige Plan soll bereits im Oktober 2016 abgeschlossen sein. Vielleicht wird dann Jenisseisk wieder etwas im alten Glanz erscheinen, man hofft auf zahlreiche Touristen.

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Der mit Gras und Blumen ausgelegt Gebetsraum der Himmelfahrtskirche

Von den Bauarbeiten nicht betroffen sind die von Nansen erwähnten zahlreichen Sakralbauten (außer die Gotteserscheinungskirche, die bis dato ein Ruine ist), wie das Spasso-Preobraschenski Kloster oder die Himmelfahrtskirche, da diese bereits in den letzten Jahren renoviert wurden. In den Kirchen fällt auf, dass der Boden mit frisch gemähten Gras, Birkenzweigen oder Blumen übersät ist. Beim am Wochenende stattfindenden orthodoxen Pfingstfest symbolisiert die Farbe Grün den Berg Sinai. Denn während dort Moses die Gesetzestafeln erhielt, grünte und blühte alles. Viele Gläubige binden die auf dem Boden ausgebreiteten Pflanzen zu Kränzen, um diese über den Ikonen der Familien- oder Hauspatrone aufzuhängen.

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Pjotr Jakowlewitsch erklärt die Funktionsweise einer alten Waage.

Da auch das örtliche Heimatmuseum zur Zeit umgebaut wird, führen mich meine lokalen Guides in das kleine private Museum von Pjotr Jakowlewitsch. Das „Fotoisba“ befindet sich im Erdgeschoss eines alten Holzhauses und ist bis unter die Decke vollgepackt mit Devotionalien aus Jenisseisk und dem Russland der letzten Jahrhunderte. Der Besitzer nimmt sich für einen kleinen Obolus für jeden Besucher Zeit, um durch das Museum zu führen, das er mit spürbaren Enthusiasmus betreibt.

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Das Kloser am namensgebenden Gewässer

Nach dem Mittagessen, und bevor mein Bus zurück nach Krasnojarsk fährt, fahren wir noch mit dem Auto zum Klostersee. Dieser liegt eine gute halbe Autostunde von Jenisseisk mitten in einem Kiefernwald. Der Legende zufolge kamen Mitte des 17. Jahrhunderts Mönche an den See und erkannten in seiner Form die Umrisse eines Klosters, so dass sie selbiges am Ufer errichteten. Nach der Machtergreifung der Bolschewiki und damit einhergehenden anti-religiösen Kampagnen wurde das Kloster Anfang der 1920er Jahre zerstört und die Mönche im See ertränkt.

Gruppenbild
Gruppenfoto, von links nach rechts: Meine Gastgeber in Lesosibirsk, eine befreunde Familie, die wir zufällig am Klostersee treffen, unsere Stadtführer in Jenisseisk und ich. Das Foto wurde vom achtjährigen Sohn der Familie gemacht, der mir förmlich die Kamera aus den Händen riss, um unentwegt Fotos zu schießen – zufälligerweise passte hier sogar der Fokus.

Heute ist die Anlage und der angrenzende See vor allem ein beliebtes Ausflugsziel. So treffen wir dort auch zufällig auf eine befreundete junge Familie. Man verplappert sich, der 16 Uhr Bus ins gut sechs Stunden entfernte Krasnojarsk wird knapp verpasst, die Rückfahrt verzögert sich. Es ist kurz nach Mitternacht, als ich endlich wieder am Krasnojarsker Wohnheim ankomme. Der Tag ist vorbei, das Wochenende auch. Schön war’s.

Klostersee:
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