Blick von der griechischen Seite gen Norden
Es ist kurz vor Mitternacht. Nur noch wenige Touristen und Einheimische sind in der Altstadt von Nikosia unterwegs. Zwar sind die Gässchen hier verworren, doch zweisprachige Beschilderungen an den zentralen Punkten führen die Fremden durch das Labyrinth. Für die meisten heißt das Ziel: Ledrastraße.
Die beliebte Einkaufsstraße ist einer von sieben Übergangspunkten, die heute wieder den nordzyprischen, türkisch geprägten Teil, mit dem griechisch geprägten Süden und damit mit der Europäischen Union verbinden. Im Zuge der Besetzung der Mittelmeerinsel durch türkische Truppen im Jahr 1974 wurde Zypern geteilt und die Bevölkerung ausgetauscht. Seitdem durchschneidet ein von der UN bewachtes Band – die „grüne Linie“ – die Insel von West nach Ost. Seit einigen Jahren nähern sich jedoch beiden Seiten wieder an. So dürfen seit April 2008 alle Bewohner der Insel wie auch EU-Bürger problemlos die jeweils andere Seite besuchen. Die Ledrastraße wurde damit von einem Symbol der Trennung zur einem der Einheit.
Der griechische Checkpoint an der Ledrastraße
Diese versucht nun mitten in der Nacht auch ein älterer Mann mit weiblicher Begleitung letztlich erfolglos zu bewahren: Er ist augenscheinlich Europäer, doch seiner erheblich jüngeren Bekanntschaft wird die Ausreise aus Nordzypern verwehrt. Beide hatten sich vermutlich erst kurz zuvor in einem der vielen Nachtclubs auf der türkischen Seite getroffen. Aus dem Fortsetzen des Abends auf südlicher Seite wird nun nichts.
Bei mir sieht die Sache anders aus, sowohl der gelangweilten und fast beschäftigungslosen Beamtin auf nord- wie auch ihr Kollege auf südzyprischer Seite reichen ein kurzer Blick in den Pass und ich darf die hier weniger als 50 Meter breite „grüne Linie“ durchqueren, um zu meiner Pension zu kommen.
Vorne Café, hinten Sandsäcke und Pufferzone
Tags darauf zeigen sich die teils skurrilen Auswirkungen des Ist-Zustands: Hier ein Straßencafé direkt vor der mit Sandsäcken und Stacheldraht gesicherten Grenzlinie, dort gelangweilt in ihrem Wachposten dösende griechisch-zyprische Soldaten. Versinnbildlicht wird die ganze Szenerie von einer Bar, die sich ebenfalls direkt an einem Beobachtungsposten befindet: „Berlin Wall: Checkpoint Charlie“. Denn Fakt ist, dass Nikosia nun schon fasst genauso lange wie die deutsche Hauptstadt geteilt ist und damit ein vermeintliches Überbleibsel aus vergangenen Zeiten repräsentiert.
Im Alltag stellt für die meisten Inselbewohner die noch gegenwärtig bestehende Teilung längst kein Hindernis mehr dar. Die Wartezeiten an den Übergängen sind äußerst kurz, Konflikte gibt es längst nicht mehr. Durchstreift man allerdings die Altstadt, egal auf welcher Seite, so kann es schnell passieren, dass man plötzlich in einer Sackgasse steht – auf der einen Seite die Flagge Griechenlands und der Republik Zyperns wehend, auf der anderen Seite die der Türkei und des international nicht anerkannten Nordzyperns. Zwar wird hier Gyros feilgeboten, dort Döner. Doch überall prallt die Sonne gleich unerbittlich auf die Mittelmeerinsel.