Nicht nur mein sich dem Ende zuneigendes Visum, vor allem mein Studium „zu Hause“ in Tbilissi erinnert mich daran den Rückweg anzutreten. Nahezu eine Woche vor dem Ablaufen der 15 Tage hatte ich mir bereits das Zugticket von Teheran nach Van gekauft – erste Klasse im 4er Abteil für umgerechnet 17€. Leider versäumte ich es, auch die sehr gute Komplettverpflegung für einen Apfel und ein Ei dazuzubuchen. Bis Donnerstag musste ich aus dem Land kommen, sodass ich mich am Mittwochmorgen in den Reisebus in die iranische Hauptstadt setze und Meysam, „Goodbye and see you soon!“, sagte.
Die Fahrt geht ereignislos wie schnell vorbei. Ein Halt wird nur an einer Art Raststätte inmitten der iranischen Einöde gemacht. Zurück in Teheran erwartet mich dann wieder der Trubel. Die Stadt besitzt vier Terminals, so nennt man die Busbahnhöfe, die sich jeweils in einer Himmelsrichtung befinden. Der südliche Busbahnhof, an dem ich auch aussteige, liegt rund 20 Minuten Fußmarsch vom Hauptbahnhof entfernt. Damit kann ich mir das Geld für das Taxi sparen kann und dieses in den wirklich allerletzten Kabab investieren. Dies wird leider auch der Schlechteste (aber auch Billigste) der ganzen Reise. Die letzten 60.000 Rial (20.000 Rial entsprechen ungefähr einem Euro) setzte ich dann für Pistazien, zum Verzehr für die 24-stündige Zugfahrt, um.
Spielzeugzug im Bahnhofsgebäude
Auf dem Weg zum Bahnhof, frage ich sicherheitshalber einmal nach dem Weg und prompt treffe ich auf einen iranischen Landwirtschaftsprofessor, der nicht nur in Deutschland (teilweise) ausgebildet wurde, sondern sich sogar noch an die Namen seiner Deutschlehrer von vor über 30 Jahren erinnert. Er ist zwar redlich bemüht sich mit mir auf Deutsch zu unterhalten, doch schnell wechseln wir auf Englisch. Wenn man von Teheran einen internationalen Zug nimmt, dann benutzt man nicht das Hauptgebäude, sondern man muss etwas abseits, linkerhand, das internationale Terminal aufsuchen. Da mein Professor sich auch damit auskennt, bringt er mich gleich bis zum richtigen Eingang und schenkt mir am Ende noch einige Süßigkeiten. Ich glaube, die Iraner haben immer etwas zum verschenken dabei und sind auf alle Eventualitäten vorbereitet.
Bis der Zug abfährt sind es noch einige Stunden, sodass ich nicht nur das erste Mal mein mitgeschlepptes Buch lesen kann, sondern auch meine Mitreisenden beobachten kann. Außer zwei Touristen, die mir sofort auffallen, scheinen alle anderen Iraner zu sein. Ob vom Bahnpersonal so geplant oder Zufall, natürlich komme ich genau mit jenen zwei Touristen in ein Abteil, ein Türke der auch nur bis Van fährt, komplettiert unser Quartett.
Die angesprochenen zwei Reisenden sind alte australische Schulfreunde, die zusammen den Mittleren Osten bereisen. Der eine von ihnen scheint bereits die halbe Welt gesehen zu haben, was seine Erzählungen und sein fast vollständig zugestempelter Reisepass zeigt. Da beide die Verpflegung gebucht haben und diese zudem sehr üppig ist, komme ich also doch in den Genuss. Bis zur Grenze bleibt die Fahrt unspektakulär, in Tabriz steht der Zug sogar drei Stunden am Bahnhof.
Am letzen iranischen Bahnhof steigen dann die Beamten zu. Erst denke ich, dass diese den Zug nach zu bezollenden Waren durchsuchen wollen, aber letztendlich bauen sie eine mobile Kontrollstation im Speisewagen auf. Nach und nach holt uns der Schaffner in den Waggon, sodass wir ohne längeren Halt an der iranischen Grenze „abgestempelt“ werden. Weniger Service gibt es dann auf der türkischen Seite. Bei Eiseskälte müssen alle Passagiere und das Personal den Zug verlassen, um dann an zwei Schaltern ihre Reisepässe kontrollieren zu lassen. Das dauert natürlich, sodass sich unser Zugpersonal mit ein paar Grenzbeamten mit einem Tischtennisturnier in einem der Aufenthaltsräume die Wartezeit vertreibt.
Kaum haben wir die türkische Grenze überquert, sieht man die iranischen Frauen auf einmal nur noch in Jogginganzug und ohne Kopftuch, statt vorhergehenden schicken Mäntel und Schals um die Köpfe. Für mich heißt es dann nicht nur Abschiednehmen von meinen Mitreisenden, sondern auch die Beine in die Hand zu nehmen. Denn in Van angekommen bleiben mir nur 20 Minuten um vom Bahnhof zum rund 500m entfernten Busbahnhof zu kommen, um dort den allerletzten Bus des Tages zu bekommen.
Außer Puste und kurz vor einer Hustenattacke aufgrund der Kälte – Minus 20 Grad – schaffe ich es natürlich rechtzeitig und der Bus ist glücklicherweise auch noch nicht ausgebucht. Beruhigt kann ich im warmen Bus mit dem Ziel Erzurum schlafen. Die Stadt erreichen wir am Freitagmorgen. Von hier wollte ich eigentlich Richtung Kars gen Georgien trampen, doch kurzerhand ergibt sich eine sehr attraktive Alternative und gleichzeitig größte Fehlentscheidung der ganzen Reise, wie sich nur wenig später herausstellen sollte: ein Direktbus nach Tbilissi für 80 Lira, nur 30 Minuten nach meinem Ankommen.
Doch nun beginnt erst die wahre Odyssee: Bereits wenige Kilometer hinter Erzurum gibt der Bus seinen Geist auf. Während man fünf Stunden versucht das Problem zu beheben – unter der Zuhilfenahme eines anderen Reisebusses, der Polizei und eines LKWs – machen einige Mitfahrer ein Lagerfeuer am Straßenrand, um der Kälte zu entfliehen. Nach dieser eher behelfsmäßigen Reparatur geht es dann an diesem Freitag immerhin bis Göle, wo der Bus ein zweites Mal abnippelt.
Es scheint ein Problem mit dem Drucksystem des Busses vorzuliegen. Mit Treckern einiger Bauern versucht man zwar den Bus wieder zum laufen bzw. anspringen zu bewegen. Doch mehr als ihn zum Straßenrand zu schleppen ist heute nicht mehr drin. Einige Passagiere haben Glück, für sie werden Marschrutkas in ihre türkischen Städte bereitgestellt. Doch ein iranisches Ehepaar, genauer gesagt Aseris und deswegen des türkischen mächtig, und ich haben doppelt Pech. Denn unser Gepäckfach bleibt aufgrund des zu geringen Druckes geschlossen und auch nach Tbilissi fährt kein Minibus. Man deutet uns an, doch in einem Hotel zu übernachten. Ich versuche verständlich zu machen, dass das zwar wohl nicht anders geht, ich aber auf keinem Fall bereit bin jenes zu bezahlen. Auf türkisch gibt man mir zu verstehen, dass das schon okay ist.
Die Sache scheint damit fürs erste für mich erledigt, zumindest für die Nacht. Doch am nächsten Morgen – Samstag – sind die Probleme natürlich immer noch nicht aus der Welt geschafft. Der Bus wartet bis Mittag(!) immer noch auf seine Reparatur und das Hotel soll natürlich auch durch mich bezahlt werden, ich weigere mich beharrlich. Und auch das iranische Ehepaar, Hussein und Simya, solidarisiert sich mit mir. Sie sagen, dass ich ab da an ihr Sohn sei und das ja unser gemeinsames Problem sei. Auch geben sie mir Essen und natürlich iranische Nüsse.
Irgendwann am Nachmittag ist dann aber doch der Bus zumindest einigermaßen fahrbereit, für die nur doch drei übrig gebliebenen Fahrgäste. Immerhin weitere 50 Kilometer schafft der Bus es heute, ehe er abermals zusammenbricht. Wieder wird der Bus mit einem Trecker zu einer Tankstelle geschleppt, wo die mittlerweile fünf mitfahrenden Angestellten des Reiseunternehmens nun endlich ernsthaft versuchen das Problem zu beheben. Um 22 Uhr scheint dann der Bus wirklich wieder fit zu sein – Tbilissi rückt also wieder in den Bereich des möglichen. Aufgrund der zahlreichen Aussetzer kommt aber diesmal ein weiterer Hinderungsgrund hinzu: der Grenzübergang bei Posof ist nachts geschlossen. So werden wir abermals gezwungen in einem Hotel – nur 14 Kilometer von Georgien entfernt – zu übernachten.
Nun eskaliert die Sache abermals, als man mich zwingen will die Rechnung zu übernehmen. Das lasse ich mir nicht gefallen, wünsche dem iranischen Paar noch viel Glück und Erfolg und danke ihnen für die Unterstützung, sowie dem Busunternehmen die Krätze an den Hals.
So verlasse ich als „freier Mann“ das Hotel und wärme mich erstmal bei einer Tasse Tee bei einem Tankstellenagestellten auf. Wenig später suche ich mir eine günstigere Bleibe für die Nacht, in der ich prompt von feiernden Türken auf ein Bier eingeladen werden. Nur der Weit, der selber ins Bett möchte, beendet den feucht-fröhlichen Abend. Am Sonntagmorgen treibt mich dann mein Handywecker aus dem Bett, gegen 8.30 Uhr stehe ich an der Straße, um den restlichen Weg bis nach Tbilissi zu trampen. Die Straße ist zwar kaum befahren, doch bereits das allererste Auto nimmt mich ein paar Kilometer mit, dass zweite bringt mich bis zur Grenze. Mit einem herzlichen „Gamardschoba!“ freue ich mich nicht nur wieder zurück in Georgien zu sein, auch die Grenzbeamten in der nagelneuen Kontrollstelle frohlocken ob der einzigen Kundschaft.
Auf der anderen Seite kommt dann auch gleich ein Taxi, was mich abermals für einen Fantasiepreis in die nächst größere Stadt, Akhaltsikhe, bringt. Dort halte ich den Daumen raus, um nach gut einer Stunde Standzeit einen direkten Lift mit zwei Geschäftsmännern in die georgische Hauptstadt zu bekommen. Nur wenige hundert Meter von „daheim“ werfen sie mich raus und ich kann endlich, am Sonntagnachmittag, das erste georgische Bier des neuen Jahres öffnen: „Gagimardschos!“
In eigener Sache und zur Klarstellung: Mit meinem – äußerst subjektiven – Reisebericht möchte ich nichts beschönigen, vor allem was die Menschenrechtslage oder die Politik des Landes angeht (eine Bewertung steht mir auch gar nicht zu). Es ging mir allein darum, dass der Iran nicht der Iran ist und das die Menschen – wie überall – sich äußerst selten mit den Regierenden und/oder Herrschenden gleichsetzen lassen. Das trifft vielleicht dort sogar noch mehr zu als in Europa, was mir durch zahlreiche persönliche Gespräche mitgeteilt wurde. Letztendlich hoffe ich, dass sich nicht nur mein Horizont erweitert hat und ich die Schönheit und die Herzlichkeit der Menschen dieses Landstriches etwas zeigen konnte. Irgendwelche Befürchtungen kann man nur haben, wenn man die Augen und den Geist nicht öffnet.