Die typischen sowjetischen Waggons stehen bereits abfahrbereit auf dem ersten Gleis im neuen, futuristischen Bahnhof von Tbilissi. Mein Abteil für die kommende Nacht ist schnell gefunden, als mir von hinten auf die Schulter geklopft wird: Als ich mich umdrehe steht Boris, ein türkischer Kommilitone aus dem Russisch-Unterricht, hinter mir. Er ist noch mehr bepackt wie ich, er will nämlich die Uni wechseln und nach Batumi ziehen, wie sich wenig später herausstellt.
Während der Zugfahrt verlieren wir uns dann erst einmal aus den Augen. Selbige fallen zudem auch schnell zu. Der georgische Nachtzug nach Batumi erweist sich als wesentlich bequemer als vermutet und ist zudem recht flott unterwegs. Und auch weil die Klischees, wie umherkreisende Wodkaflaschen und laut schnarchende schnauzbärtige Männer, ausbleiben, ist die Fahrt eher vorbei, als es mir recht sein kann: Bereits gegen sieben Uhr morgens erreichen wir die Schwarzmeerküste.
Beim Aussteigen treffe ich dann wieder auf Boris. Ich weiß ja, dass wir das gleiche Ziel haben, nämlich erstmal mit dem Taxi nach Batumi zu kommen. Denn der letzte Bahnhof der Zugverbindung liegt in Makhinjauri, rund 10km außerhalb der adscharischen Hauptstadt.
Sandstrand gibt es nur auf der „anderen Seite“ – der Strand in Batumi
Mit Boris geht es an diesem frühen Morgen erst einmal in ein türkisches Cafe, wo ich ihm detailliert von meinen Reiseplänen erzähle. Auch, dass ich rund 40h Zeit habe, nach Van im Osten der Türkei zu kommen, weil dort einmal wöchentlich ein Zug nach Teheran fährt (Achtung, die Abfahrtzeiten haben sich mittlerweile geringfügig geändert!). Diesen Zug will ich unbedingt bekommen, da er sehr preiswert und bequem ist und ich darüber hinaus Zugfahren für die entspannendste Reisevariante halte. Wie meine daheim getätigten Recherchen ergaben, gab es keine direkte Busverbindung zwischen Batumi und Van, sodass ich die 650 Kilometer trampend zurücklegen wollte. Doch Boris überzeugt mich, doch besser die preiswerten und komfortablen türkischen Busse zu nehmen.
So geht es gegen Mittag mit ihm zusammen nach Trabzon, wo Boris seine Eltern besuchen wollte und er mir somit auch beim Ticketkauf helfen konnte (englischsprechende Menschen sind zumindest im Osten der Türkei rar gesät) Im Bus sind wir die einzigen beiden Fahrgäste und werden von zwei Fahrern und einem Steward begleitet. Schlecht für die Angestellten, können sie doch damit nur wenige Zigarettenstangen und Alkohol (legal) über die Grenze bringen: Jeder von uns bekommt eine Plastiktüte in die Hand gedrückt, die die exakte Maximalmenge an zollfreien Waren beinhaltet. Damit und mit unserem Reisepass „bewaffnet“ durchlaufen wir die beiden Grenzkontrollen. Wie so oft überprüfen die Beamten meinen Reisepass besonders akribisch auf seine Echtheit. Da das in diesem Fall besonders lange dauert und sich letztendlich als ergebnislos herausstellt, verzichtet man aufs Röntgen unseres Gepäcks. Drüben in der Türkei angekommen, müssen die Tüten natürlich wieder zurückgeben werden. Die bröselige Straße auf georgischer Seite verwandelt sich zudem schlagartig in eine vierspurige Autobahn, womit auch diese zweite Etappe eine schnelles Ende in der Hafenstadt Trabzon findet.
Die dortige fünfstündige Wartezeit auf meinen Nachtbus nach Van vertreibe ich mir in einer riesigen Shoppingmall (solch ein Konsumüberangebot hatte ich schon etwas vermisst in Tbilissi) und in einem Internetcafé (welches ich weniger vermisste hatte, da ich noch nicht einmal 24h offline war). Während der nächtlichen Fahrt nach Van bin ich dann einerseits vom Luxus im Bus und andererseits von der endlosen schneebedeckten Weite der Osttürkei überrascht. War es am Schwarzen Meer noch angenehm warm, zeigt das Thermometer im Bus auf einmal bis zu Minus 20 Grad Celsius an.
Gegen 8 Uhr am Donnerstagmorgen erreichen wir dann auch das Ziel der dritten Etappe: Van. In der Stadt gab es erst im Herbst zwei verheerende Erdbeben. Rothalbmond-Zelte auf fast allen Gründstücken und sich teilweise im Abriss befindende Häuser sind die wenigen sichtbaren Zeugen von damals. Ein Ort also, an dem man als „Tourist“ eher weniger Zeit verbringen möchte und ich mich etwas fehl am Platz fühle. So steige ich schnell in ein Taxi, um mich zum Bahnhof bringen zu lassen. Dieser ist nur rund 500m weit vom „Otogar“ entfernt, was ich vorher nicht wusste. Doch schon von weitem sehe ich, dass ein gelbes Absperrband jeglichen Zugang zum Gebäude verwehrt. Auch mein Fahrer deutet mir an, dass (angeblich) keine Züge fahren würden. Nachdem ich ihm auch mein eigentliches Reiseziel mit „Iran – Teheran“ verständlich machen kann, schnappt er sich sein Handy und telefoniert herum.
Für 300 Lira könne er mich bis zur Grenze fahren oder ich nehme den Minibus von einem „Freund“, der nur 20 Lira kostet. Selbstverständlich nehme ich die zweite Variante. Für seinen Informations- und Fahrdienst quer durch die Stadt verlangt er am Ende 25 Lira – nicht wenig, wenn man georgische Fahrpreise gewöhnt ist (da kann man locker für ein Fünftel davon quer durch Tbilissi kommen). Immerhin vertrödele ich bei der neuen Variante nicht den ganzen Tag, um auf den Zug zu warten – und spontane Planänderungen machen das Reisen zudem erst zu einem Erlebnis. Nach dem obligatorischen Tee in einem Holzverschlag ist auch der Minibus vollbesetzt und die Fahrt kann losgehen. Länger als erwartet, nahezu vier Stunden, geht es weiter in Richtung Osten nach Yüksekova. Es geht über Gebirgsketten, durch Täler, vorbei an militärischen Kontrollstellen der „Jandarma“ und Dörfern in einheitlichen Brauntönen.
Endlich in Yüksekova angekommen will ich zunächst auf einen billigen Minibus warten, doch ein Sammeltaxi, was bis auf einen Platz voll belegt ist, bietet sich kurzerhand als ebenso kostengünstige Alternative an. Für weitere 10 Lira geht es damit bis zur immer noch knapp 40km entfernten türkisch-iranischen Grenze. Diese hatte ich mir etwas opulenter vorgestellt, liegt doch auf einmal nur eine riesige Matschfläche mit einigen Baracken in einem engen Tal vor mir. Nur der aufgemalte Ataürk auf einer Häuserwand auf der einen und Ajatollah Chomeini als Standbild auf einem Hügel auf der anderen Seite weisen auf die Bedeutung des Ortes hin. Da ich per pedes unterwegs bin, kann ich die LKW-Warteschlange getrost umgehen, um mich in der Türkei wieder „auszuloggen“ und mich endlich in der islamischen Republik „anmelden“.
Noch bevor ich in den Iran hineingelassen werden, spüre ich nicht nur körperlich (das Gebäude auf iranischer Seite ist beheizt) sondern auch persönlich mehr „Wärme“, als mich der Grenzbeamte mit einem herzlichen und zudem ungebrochenen „Welcome in Iran“ begrüßt. Nachdem geklärt ist, dass ich aus Deutschland komme („beautiful“) und nur ein argloser Student bin („good“), ist der Einreisestempel schneller im Pass als der türkische Kollege die Echtheit des selbigen überprüft hatte.
„Endlich angekommen“, kann ich noch innerlich denken, als bereits eine Meute Iraner auf mich – den westlichen Touri – zustürmt, um mir meine „kostbaren“ US-Dollars in iranische Rials einzutauschen (sämtliche EC- oder Visakarten funktionieren aufgrund der Sanktionen nicht, sodass man unbedingt ausreichend Bargeld mitnehmen sollte!). Ich bin fair, und gebe dem allerersten Tauscher den Zuschlag, der Kurs ist auch recht ordentlich und ich brauche ja die hiesige Währung, um weiter zu kommen. Kaum habe ich den ersten Mob überwunden, wartet auch schon der zweite auf mich: die „Taxi“-Fahrer. Sich gegenseitig um Fantasiepreise unterbietend gebe ich schließlich dem erstbesten mein Okay, bevor mir ein anderer fast meinen Rucksack vom Rücken reist, um mich transportieren zu „dürfen“.
Bevor es in die nächst größere Stadt, Urmia, zum Busbahnhof geht, macht mein Fahrer noch einen Umweg, um seine Mutter mitzunehmen. Auf der Fahrt nach Urmia bekundet er noch schnell seine Sympathie für die Türkei, weil es dort ja Demokratie gebe, ehe er mich am „Terminal“ in der nordwestiranischen Stadt absetzt. Dort ist dann auch schnell der Nachtbus für den letzten Reiseabschnitt in die 800 Kilometer entfernte Hauptstadt gefunden – man spricht eben Englisch, auch in der hinterletzten Busagentur des Landes. Im bevorzugten Transportmittel dieser Reise setzt sich die jene Erfahrung fort, als mir mein Sitznachbar, ein Elektrotechnikstudent aus Tabriz, den iranischen Liebesfilm im Bordkino übersetzt – mit der Hilfe zweier weiterer jungen Frauen. Zu beachten ist, dass streng nach Geschlechtern getrennt wird und auch ein Ehemann nie neben seiner Frau sitzt. Das kann dann schon mal zu einer „Reise nach Jerusalem“ ausarten, bis die gängigen Sitzregeln eingehalten sind. Man gewöhnt sich aber daran.
Weitaus schwieriger ist hingegen die Kontaktaufnahme mit Ali, der bereits in Teheran auf mein Ankommen wartet. Ich kann ihm nur SMS schreiben, er mich nur anrufen – alle anderen Versuche werden vom iranischen Netzbetreiber geblockt. So bin ich dann mehr als überrascht, als nach der Ankunft um 4 Uhr morgens plötzlich Ali und sein Vater gegenüberstehen und noch mehr als ich erleichtert sind: „Willkommen in Teheran!“