Zwei Spieler kämpfen um den Ballbesitz, Krasnojarsk spielt in Rot
Ein voller Bus nach dem anderen hält an der Haltestelle „Kulturpalast 1. Mai“. Es ist bereits nach 18 Uhr, man spürt, dass es bald losgehen wird, im Hintergrund leuchten schon die vier gigantischen Flutlichtmasten des Jenissei-Stadions die Szenerie aus. Viele der hier Ankommenden unterscheiden sich von den normalen Werktätigen nur davon, dass sie neben der Aktentasche noch einen Fanschal oder ein Trikot tragen. Außerdem führen nahezu alle einen Plastikbeutel mit Kissen, Styropor oder schlichter Pappe mit sich – für den Allerwertesten bei dieser winterlichen Kälte. Pünktlich nach Feierabend, um 19 Uhr, soll das Eisball-Match angepfiffen werden.
Eisball? Was wie eine nette Tanzveranstaltung im Winter klingt, ist in Wahrheit eine insbesondere in Russland und Schweden populäre Mannschaftssportart, die Elemente von Eishockey und Fußball verbindet. Eisball wird international auch Bandy genannt, in Russland offiziell aber „Hockey mit Ball“. Denn das, was bei uns Hockey heißt, bezeichnet man auf Russisch als „Hockey auf dem Rasen“, dass klassische Eishockey ist dann einfach nur Hockey.
Super Stimmung bei -2°C im Jenissei-Stadtion. Zudem: Einheitspreis (100 Rubel), freie Platzwahl und kein Alkoholausschank.
Wie man sich aus dem russischen Namen bereits ableiten kann, wird anstatt eines Pucks mit einem etwa tennisballgroßen Bällchen in Signalfarbe gespielt. Die gefrorene Spielfläche ist dabei so groß wie beim Fußball, auch treten 11 Spieler inklusive einem Torwart gegeneinander an. Zudem gibt es bei diesem rasanten Eishockey-Vorläufer (der glücklicherweise ohne andauernde Unterbrechungen auskommt) ebenfalls Abseits, Ecken, Elfmeter und zwei Halbzeiten mit je 45 Minuten. Nur das Tor ist im Vergleich zum Fußball deutlich kleiner, in etwa so groß wie beim Handball – im Durchschnitt fallen trotzdem mehr Tore. Alle Spieler tragen die vom Eishockey bekannte Schutzausrüstung, auch die Schläger sind ähnlich. Die Torhüter müssen aber mit zwei vergrößerten Fanghandschuhen auskommen.
In Russland, und hier vor allem in Sibirien, ist Bandy fast Volkssport. Die Mannschaft aus Krasnojarsk, der HK Jenissei, ist nicht nur die zweitbeste Mannschaft des Landes (nach Dynamo Moskau) und der aktuelle Titelverteidiger. Der Klub konnte auch bereits drei Mal die Bandy-Weltmeisterschaft gewinnen, zuletzt im Jahr 2011. Auch in dieser Saison ist der Krasnojarsker Verein der Titelanwärter, das Team beendete die Hauptrunde auf den ersten Platz. Doch bei dem am vergangenen Wochenende gestarteten Play-offs, bei dem die besten acht Mannschaften den Meister im K.-o.-System ausspielen (bei zwei Siegen zum Weiterkommen), verlor Jenissei sein Spiel gegen Kuzbass Kemerowo knapp mit 6:5.
Am Dienstag musste nun vor heimischen Publikum im 10.000 Zuschauer fassenden Jennissei-Stadion gewonnen werden, um noch ins Halbfinale einziehen zu können. Das gelang mit Bravour: Schon nach einer halben Stunde führte Krasnojarsk mit 5:0, zur Halbzeit stand es gar 9:0. Die bereits zu dieser Zeit deklassierten Kuzbasser mussten die Häme der fast 6.000 Besucher über sich ergehen lassen. Zugleich wurde Jenissei ununterbrochen angefeuert, sodass diese das Schützenfest auch in der zweiten Hälfte fortsetzten konnten. Am Ende stand es 15:2. Gewonnen ist damit aber noch nichts, denn Krasnojarsk braucht noch einen weiteren Sieg im Entscheidungsspiel, um ein Runde weiterzuziehen. Es bleibt also spannend, ob dann die Fans wieder „Jenissei, Champion“ anstimmen.
Nachtrag 23.02.2015: Tatsächlich konnte sich Jenissei souverän bis ins Finale spielen, wo das Team auf Langzeitrivale Dynamo Moskau traf. Doch auch in Chabarowsk, wo das Endspiel am 21. März ausgetragen wurde, konnte sich Krasnojarsk durchsetzen und mit 5:2 den Meistertitel verteidigen.