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Die Waisenkinder von Zhytomir

Hotel, Morgen, Ukraine – der Handywecker klingelt wie immer hochgradig unfreundlich. Noch unfreundlicher ist die Temperatur der Dusche und am unfreundlichsten die Putzfrau. Diese zwang uns das vom Ketchup eingesaute Handtuch noch sauber zu machen. Und das 20 Minuten vor der Abfahrt unseres Busses nach Zhytomir.

 

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Das ist Zhytomir

Der Bus dorthin war eher maessig besetzt, sodass wir genuegend Platz hatten. Allerdings hatte dieser keine Heizung und man musste aufpassen in der gut 2,5 stuendigen Fahrt nicht zu erfrieren. Ziemlich durchgefroren erreichten wir den Busbahnhof in Zhytomir und unsere erste Amtshandlung dort war, uns im Bahnhofscafe bei Kaffee und Broetchen aufzuwaermen. Zhytomir ist eine 250.000 Einwohner Stadt rund 120km entfernt von Kiew.

"Die durchschnittle Strahlenbelastung ist rund 4mal hoeher als in Deutschland. Wesentlich bedeutsamer und kritischer ist jedoch die Aufnahme von radioaktiv belasteten Lebensmitteln. Die Mehrheit der Bevölkerung im Raum Zhytomir versorgt sich mit landwirtschaftlichen Produkten aus eigenem Anbau oder von Verwandten auf dem umliegenden Land, da sie sich die teueren, unbelasteten Lebensmittel nicht leisten kann. Hier sind jedoch die Böden auch noch nach 22 Jahren erheblich u.a. mit Caesium-137 kontaminiert.

Die mit dem Projekt Kinderhilfe Ukraine im Raum Zhytomir geförderten Waisenhäuser sind dringend auf Zuwendungen angewiesen, um den dort lebenden Kindern wenigstens eine Grundversorgung bieten zu können. Viele der Kinder dort besitzen nicht ausreichend warme Kleidung. Die Winter im Osten Europas sind bekanntermaßen ziemlich kalt.

Viele ukrainische Kinder und Jugendliche sind an den Spätfolgen der Reaktor-katastrophe von Tschernobyl erkrankt oder haben dadurch ihre Eltern verloren. Bei den kranken Kindern handelt es sich um schwere, lebensbedrohliche Erkrankungen wie Leukämie oder Lymphdrüsenkrebs.

Die Lebenserwartung hat sich in der Ukraine meßbar in den letzten Jahren um
etwa 10 Jahre verringert. Der mehrheitliche Teil der Bevölkerung kann sich bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von umgerechnet ca. € 50,00 die Versorgung mit unbelasteten Lebensmitteln oder wirksamer medizinischer Hilfe nicht leisten.

Die staatliche Sozial – und Krankenfürsorge, ist derzeit nicht in der Lage, eine angemessene Grundversorgung zu gewährleisten, geschweige denn die zum Teil schwer erkrankten Kinder ausreichend zu behandeln. Zahlungskräftige Patienten haben jedoch die Möglichkeit, sich mit medizinischen Leistungen und Medikamenten zu versorgen." (Quelle: Website Kinderhilfe Ukraine)

Im Cafe riefen wir auch gleich Victor an, unseren Kontaktmann im Projekt der Kinderhilfe Ukraine und auch unserer Leiter des Tages.

Nachdem wir unser Gepaeck bei seiner nicht anwesenden Schwester abgelegt haben, sind wir direkt zum Markt gefahren um nicht weniger als 8 Kilo Suessigkeiten zu kaufen. Dort angekommen erzaehlte uns Viktor ueber die Kinderhilfe.

Diese befasst sich, wie der Name schon sagt, mit der Foerderung von Projekten fuer Kinder und Jugendliche (unter anderem auch fuer das Waiseninternat, welches wir besuchen sollten). Victor ist bei diesem Hilfswerk Ehrenamtlicher Mitarbeiter, und versucht neben seinem eigentlichen Job Spenden zu sammeln und Hilfsgueter zu organisieren, wie z.B. Betten, Kleidung oder Materialien.

Was fuer uns Deutsche so banal klingt, ist hier in der Ukraine keine Selbstverstaendlichkeit. Hier ist z.B. das Schulinterieur mehrere Dekaden im Einsatz. Und meist, so sagt es Victor, sieht es in den staatlichen Schulen noch schlimmer aus, als in dem Waisenheim, welches wir noch besuchen werden.

Alles in allem wird in diesem Land zu wenig in Bildung investiert – wie ueberall, stellen wir fest.

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Zurueck zum Markt, nachdem wir also die 8 Kilo dort gekauft hatten, werden wir zur regionalen Fernsehstation gebracht. Ab diesem Moment realisieren wir, das dies ein sehr offizieller Termin ist und wohl etwas anstrengender sein wird als unsere Tage zuvor. Kein Platz fuer Ulkeleien, Team Nord wird heute serioes berichten.

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Nach einigen Minuten trafen neben 2 Kamerateams auch die Freunde von der Orga ein – fast schon ein komisches Gefuehl nach all den Tagen des Reisens, wieder ein paar bekannte Gesichter zu sehen.

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In einer Kolonne von nicht weniger als 4 Autos machten wir uns direkt auf den Weg zum Waiseninternat. Ein Kamerateam filmte unsere Ankunft, und irgendwie war es wie ein Staatsempfang – fast schon ein wenig unbegaglich.

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Es Empfing uns der Internatsdirektor. In seinem Buero stellte Victor noch einmal seine Arbeit und sein Hilfswerk vor, danach auch der Direktor sein Internat. Die Kameras filmten emsig all unsere Bewegungen und unsere Fragen.

Das Internat beherbert 203 Kinder – welche dort leben, lernen, und auch den groessten Teil ihrer Freizeit verbringen. Fuer jeweils rund 10 Kinder gibt es eine persoenliche Bezugsperson. Und natuerlich eine Klassenlehrerin die fuer alles offen ist. Die meisten Klassen bestanden aus 10 bis 15 Schuelern – also ist eine intensive Betreuung moeglich.

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Die Finanzierung dieser Einrichtung ist nach einer offensichtlichen Umstrukturierung gewaehrleistet – vorher haben hier ueber 400 Kinder gelebt. Doch dies soll nicht den Eindruck erwecken, hier ware kein Geld mehr noetig, denn materielle Dinge werden immer noch benoetigt. 180 der hier lebenden Kinder sind in irgendeiner Weise krank – sie haben entweder anatomische Missbildungen, Lungenkrankheiten und weitere Krankheitsbilder, die von dem Unfall aus dem Jahre 1986 ruehren – dies soll jedoch nur eine Vermutung unsererseits bleiben. Paul fragt nach einer Moeglichkeit mit den Kindern Basketball zu spielen. Man wird sehen, sagt der Direktor – der Unterricht geht ersteinmal vor. Obwohl fuer die Kinder ein besonderer Tag ist. Nicht jeden Tag machen sich die Maedchen Zoepfchen ins Haar und binden sich weisse Schleifchen hinein oder die Jungs sehen mit ihren schwarzen Anzuegen etwas unbeweglich aus. Nichts destso trotz strahlen sie, als die grosse Delegation ihre Klassenraeume betritt und an jedes Kind ein paar Suessigkeiten verteielt.

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Wir begeben uns zuerst in die juengeren Klassen. Die Kameras erschlagen fast die Kleinen, und auch wir filmen und knipsen was das Zeug haelt. Was wohl die Kleinen denken moegen – wer all diese Fremden sind, was sie wollen. Sie fragen ja noch nichtmal, sind zu schuechtern. Manche Kinder lesen aus dem Lehrbuch vor oder sagen ein Gedicht auf. Zur Belohnung gibts eine Stueck Schokolade mehr.

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Nach der Besichtigung der Bibliothek, vieler Klassen und einer Gruppe schlafender Vorschul-Kinder, mussten wir noch einige Interviews geben. Im Grunde war das schon fast stressig, doch natuerlich braucht am wenigsten unser Team die Werbung – denn vor allem solche Einrichtungen und auch auch die wohltaetige Stiftung von Igor brauchen Aufmerksamkeit, denn letztlich sind es Spenden die solche Projekte nicht nur am Leben erhalten, sondern auch eine stetige Verbesserung ermoeglichen.

Nach allem dem positiven Presserummel, der hoffentlich seinen Nutzen haben wird, begaben wir uns nach draussen. Dort spielte eine Gruppe von Kindern eine Mischung aus Hand- und Fussball. Der 12. Mann war ein Schaeferhund, welcher in einer merkwuerdigen Art und Weise an diesem Spiel teilnahm, als ware er selbt ein Kind. Der Ball war ein defekter Fussball – wir haben vergessen zu fragen, ob es noch heile Baelle gibt.

Wir spielten noch eine Weile, machten Fotos, und wenig spater, als auch unsere letzten Bonbons verteilt waren, verabschiedeten wir uns von den noch anwesenden Kindern, vom Direktor.

Wie immer filmte man uns sogar bei der Abreise und staatsmaennisch verstanden wir es zu winken.

Es folgte das Mittagessen, das obligatorische "Tagesaufgabe-geschafft-Bier" und nach einer kleinen Stadtfuehrung zum Juri-Gagarin-Park, und zum Koroljow-Musem, welches wie immer irgendwie nicht offen war (Ruhetag), fanden wir uns wieder in der Wohnung von Victors Schwester.

Als dieser dann die Gitarre zueckte, war uns eingentlich gar nicht mehr nach gehen zumuten – denn wir hatten schon ausgemacht woanders zu naechtigen. Wie ein Virtuose spielte er eine Zugabe nach der anderen und verlor sich fast in seinem Spiel, welchem wir – stumm wie nie – lauschten. Es gab Tee, und Kekse und neben der aufkommenden Zufriedenheit spuehrten wir alle die Muedigkeit in unseren Knochen.

Sasha unser Host vom Hocpitality Club, empfing uns in seinem Domizil, natuerlich liess es sich Victor nicht nehmen uns zu fahren.

Es war ein anderer Tag. Ein schwers Thema, ein sehr wichtiges noch dazu. In der Hoffnung auch nur ein wenig bewirkt zu haben werden wir heute einschlafen. Natuerlich klingt das irgendwie kitschig, aber es ist auch stets was anderes, wenn man sich selbst ein Bild von manchen Dingen macht.

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Kontakt: www.kinderhilfe-ukraine.de

Weitere Bilder: http://flickr.com/photos/marcofieber/

Bericht des ukrainischen Fernsehsender K1, welcher uns an diesem Tag begleitete: Link zu Youtube

Beitrag abgelegt unter: Fotos Ukraine Unterwegs Video