Es ist kurz vor 19 Uhr und ich verabschiede mich vom Kinder-Feriencamp, welchem ich im Auftrag der Stiftung einen Besuch abstattete. Ich hatte einen wirklich tollen Tag mit vielen glücklichen Kindern und hunderten geknipsten Fotos hinter mir. Nun wollte ich natürlich schnellstmöglich wieder zurück nach Hamburg. Die Rückfahrt sollte sogar wesentlich schneller gehen als die Hinfahrt, wie gesagt, sie sollte es …
In Starnberg warte der Bus nach Blankenberg schon auf mich. Die Tür war offen, ich war der einzige potentielle Fahrgast und etwas entfernt auf der gegenüberliegenden Straßenseite plauschte der Busfahrer noch eben mit zwei anderen Männern. Irgendeiner der drei rief zu mir rüber, dass ich schon mal in den leeren Bus steigen könnte und auch schon mal losfahren könnte. Klar, warum auch nicht, es waren ja noch zehn Minuten bis zur Abfahrt. Elf Minuten später kommt der Fahrer in den Bus und fragt mich angeregt, was mir denn einfallen würde, mich in den leeren Bus zu setzen. Immerhin würde ich so was auch nicht bei fremden Wohnungen machen. Ich will nicht den Spielverderber spielen und springe auf seine Späßchen ein. „Klar, ich mache das immer so, ist doch nix dabei. Habe bei mir auch alle Türen offen“. Der Busfahrer wird immer rasender und ich denke immer noch, dass er mit mir nur Spaß macht und kontere immer weiter. Doch irgendwann macht es bei mir Klick und ich realisiere, dass der Fahrer das Ganze wirklich ernst meint: „Hier ist die Kasse, der ganze Bus ist offen. Du spinnst wohl? Aber das scheint ja bei eurer Generation normal zu sein!?“ – Ich bin baff, entschuldige mich räudig, obwohl ich mir selbstverständlich keiner Schuld bewusst bin, und traue mich kaum noch nach dem Fahrpreis nach Blankenberg zu fragen. Dazu kommt die Angst, dass die kurze Fahrt noch mein Bargeldvermögen übersteigt – bei der Buchung der Zugtickets dachte ich, dass auch die Überlandbusse mit im Gesamtpreis inkludiert waren. Somit hatte ich nur knapp über fünf Euro im Portmonee und die Busfahrt auf der Hinfahrt kostete schon 4,30€.
Ich bekomme aber zum Glück noch den Fahrpreis von 2,60€ zusammengekratzt. Noch mal Glück gabt, meine Visa-Karte hätte er mir wohl eigenhändig zerrissen. Am Ortsrand von Blankenberg steht ein, im Vergleich zur Einwohnerzahl, erstaunlich großer Bahnhof. Auf dem Parkplatz davor stehen ein großes Schild „Schienenersatzverkehr“ und daneben ein Kleinbus mit derselben Aufschrift. Davon stand zwar nix in der Buchung, aber man kann ja beim Fahrer mal nachfragen: „Ist das der Schienenersatzverkehr nach Hamburg?“ – „Öhm, ja. Ich fahre nach Bad Kleinen und dort hält dann der Zug nach Hamburg. Hier in Blankenberg hält der Zug nur alle zwei Fahrten. Wird gerade gebaut zwischen Bützow und Schwerin.“
Ich setzte mich in den Kleinbus, der mich an eine Marschrutka erinnert, und stelle dem einzigen Fahrgast noch mal dieselbe Frage wie dem Busfahrer. Der Gast gibt mir dieselbe Antwort und ich nehme Platz. Später kommt ein dritter Fahrtgast hinzu und wir alle vier unterhalten uns über den Schienenersatzverkehr und die Zugverbindungen gen Westen. In einem Nebenersatz erwähnt dann ein Fahrgast, dass gerade ein Zug gehalten hätte, was eigentlich nicht hätte sein dürfen. Ich schnappe also meine Sachen, renne zum Bahnsteig und sehe den Zug nur noch von hinten, wir er stetig schneller den Bahnhof verlässt. In großen Lettern prangt „RE 1 – Hamburg Hbf“ am Triebwagen.
Was bleibt mir nun anderes übrig als wieder zurück zum Kleinbus zu gehen und leicht angesäuert Platz zu nehmen. Nach dreißig Minuten durch die Pampa Mittelmecklenburgs, vorbei an großzügig angelegten Senioren-Residenzen und leer gefegten Dörfern, kommen wir nach Bad Kleinen.
Alkoholisierte Hobby-Nazis in Jogginghose und Bierpulle in der Hand„begrüßen“ mich vorm DB-Snackpoint stehend und ich komme mir sofort vor wie in einem schlechten Film.Genau so müssen die Leute damals in Rostock-Lichtenhagen ausgesehen haben, als sie gegen das Sonnenblumenhaus hetzten.
Nach einer knappen Stunde kommt dann endlich mein Anschlusszug und befreit mich aus diesem Szenario. Die Dorftrottel bleiben zurück und grölen wohl noch bis zum Einbruch der Dunkelheit „Hitler“ und „Deutschland“ über die Bahnsteige. Oder bis der Snackpoint den Bierverkauf einstellt.
Natürlich geht es für mich nicht direkt zurück nach Hamburg, denn man schickt mich erst über Lübeck zum letztmaligen Umsteigen für heute. Um halb zwölf komme ich dann zu Hause an. Nun kann ich endlich was essen und gönne mir noch ein wohlverdientes Feierabendbier.