Im Norden der Mongolei, zwischen Erdenet und Darchan, liegt das Kloster Amarbayasgalant, laut Lonely Planet das „architektonische Highlight des Landes“. Es zählt zu den drei wichtigsten buddhistischen Heiligtümern der Mongolei, neben dem Kloster Erdene Dsuu in der Nähe von Charchorin und dem Gandan-Kloster in Ulaanbaatar. Die Anlage wurde zwischen 1727 und 1737 errichtet. Vor der Zeit des Kommunismus zu Anfang des 20. Jahrhunderts lebten rund 2000 Mönche im Kloster, zudem unter anderem auch über 30 Statuen und Tempel gehörten. Glücklicherweise blieben die meisten Gebäude von der Zerstörungswut der Kommunisten verschont, sodass Amarbayasgalant heute der größte erhalten gebliebene architektonische Komplex des Landes ist. Allerdings wohnen nur noch einige Dutzend Mönche dort. Bis Ende der 1980er Jahre wurde das Kloster renoviert und 1996 als UNESCO-Welterbestätte nominiert.
Ein Besuch dieser Einrichtung, gerade weil die Mongolei aufgrund ihrer nomadischen Tradition kaum über sehenswerte historische Gebäude verfügt, war somit Pflicht für mich. Als Individualreisender ist das Erreichen des Klosters allerdings eine kleine Herausforderung – aber gerade dadurch umso reizvoller. Denn Amarbayasgalant liegt gut 35 Kilometer entfernt von der nächsten Straße und ist nur über teils abenteuerliche Schotterwege zu erreichen.
Deswegen galt es genügend Zeitpolster einzuplanen, denn ich wollte das Kloster auf meinem Rückweg von Erdenet nach Ulaanbaatar besuchen. Allein für diese Strecke benötigt der Reisebus gut sieben Stunden. So stehe ich bereits morgens kurz nach sieben Uhr am Erdeneter Busbahnhof. Von namensgebenden Gefährten ist aber noch keines in Sicht, nur die Taxifahrer freuen sich über vermeintliche Kundschaft. Als ich ihnen spaßeshalber mein Ziel nenne, klingeln bei einigen schon die Dollarzeichen in den Augen: „100.000, hin und zurück“, bietet der erste auf Russisch an. Das wären 50 Euro. Natürlich viel zu viel, eigentlich will ich auch nur bis zur Weggabelung, von dort würde mich schon jemand mitnehmen. 40.000, lautet der Preis eines Zweiten für diese Strecke. Auch das Angebot lehne ich dankend ab. Denn ich weiß, dass noch am Morgen ein Bus in Richtung Ulaanbaatar aufbricht. Tatsächlich rollt dieser kurz nach acht Uhr auf den riesigen Platz. Um neun soll es losgehen, erklärt der Busfahrer. Das ist in Ordnung, entgegne ich. Nur über den Fahrpreis könnte man noch verhandeln, letztendlich erfolglos. Denn egal wie weit ich mitfahren will, ich muss den vollen Preis, 15.000 Tögrög, zahlen.
Der moderne Reisebus fährt pünktlich los, ist nur mäßig gefüllt und bietet ein besonderes Unterhaltungsprogramm: Die Aufzeichnung einer 80er Jahre Musikshow des russischen Perwy Kanal auf dem riesigen Bordfernseher. Kurz überlege ich einfach im Bus sitzen zu bleiben – doch pure Vernunft darf niemals siegen. So wirft mich der Fahrer wie geplant an der vorher abgesprochenen Kreuzung raus. Dort weist ein von der Witterung bereits arg mitgenommenes Schild samt Kilometerangabe den Weg zum Kloster. Nun heißt es warten.
Der erste vorbeikommende Wagen ist mit einer Familie schon voll belegt, die zwei danach vorbei preschenden Jeeps mit diplomatischen Kennzeichnen stoppen ebenfalls nicht. Nach gut einer halben Stunde kommt das vierte Auto, welches mich letztendlich auch mitnimmt. Das junge mongolische Pärchen will ebenfalls zum Kloster, wohin auch sonst. Das wir richtig fahren wird uns durch regelmäßig entgegenkommende Fahrzeuge bestätigt. Noch mehr als in Russland scheint der von dort stammende Spruch für die Mongolei zu passen: „Keine Straßen, nur Richtungen.“ Die Fahrt mit dem nicht allzu geländetauglichen Stadtauto zieht sich in die Länge, am Ende dauert es gut eine Stunde bis wir das Kloster erreichen.
Doch dieses ist nicht mein erstes Ziel. Da das Frühstück ausfallen musste, macht sich der Magen bemerkbar. Ist es doch mittlerweile deutlich nach zwölf Uhr. Dank der Touristen entstand neben dem Kloster-Komplex eine kleine Zelt- und Hüttensiedlung. Dort bekomme ich eine kleine Mahlzeit und kann auch meine aufgebrauchten Wasservorräte auffüllen. Ich gebe mir zwei Stunden, um durch das Kloster zu schlendern und den dahinter liegenden Hügel zu besteigen. Schließlich will ich noch vor Einbruch der Dunkelheit in Ulaanbaatar sein – ein herausforderndes Ziel.
Nach der Besichtigung unter Zeitdruck heißt es einen Lift zurück in die Zivilisation zu finden. Das geht wie auf dem Hinweg erstaunlich schnell. Zwar will der erste anhaltende Fahrer noch (viel zu viel) Geld, doch bereits beim zweiten habe ich mehr Glück. Die beiden sprechen sogar etwas Russisch, so kann ich anders als auf der Hinfahrt auch etwas kommunizieren. Aus Erdenet, wo ich am morgen startete, kommen sie. Doch das ist bekanntlich die falsche Richtung, sodass ich mich wie am morgen an der selben Kreuzung absetzen lasse. Dort an der Asphaltstraße stehend geht es noch schneller. Ein junger Mongole im altersschwachen Sportwagen hält wortlos an. Auf mein „Darchan?“ öffnet er nickend die Beifahrertür. Ich steige ein und wir brausen weiter. Leider fährt er nur die halbe Strecke bis zur nächsten größeren Stadt. Nach einer weiteren schnell gefundenen Mitfahrgelegenheit, einer jungen Familie mit Baby, bin ich immerhin schon in Darchan.
Allerdings ist es nun schon später Nachmittag. Da die junge Mutter auf dem Beifahrersitz ein paar Brocken Englisch spricht, kann ich ihr deutlich machen, dass sie mich zum Busbahnhof bringen sollen, anstatt mich wieder in der Pampa auszusetzen. Denn die Strecke von Darchan nach Ulaanbaatar kenne ich bereits, mich packt die Faulheit. Da der Fahrpreis mit umgerechnet fünf Euro äußerst human ist, beschließe ich das kleine Abenteuer zu beenden und stattdessen den bequemen Bus zu nehmen. Ich bin ja schließlich im Urlaub.