Von den beeindruckenden Wallanlagen um den alten Teil der nordzyprischen Hafenstadt Famagusta bis zum sogenannten Palmenstrand sind es nur wenige Gehminuten. Doch nicht der fast weiße Sand und das türkisblaue Wasser sind die Besonderheiten dieses eigentlich malerischen Strandabschnitts. Es sind die Hotelruinen, deren zerfallene Gemäuer hinter den Sonnenschirmen steil emporragen. Sie sind die stillen Zeugen des Zypernkonflikts, in dessen Folge die Mittelmeerinsel in einen türkischen und einen griechischen Teil geteilt wurde. Jegliches Betreten der sich hinter einem Stacheldraht verbergenden Ressortanlagen ist strengstens verboten, sogar von Schusswaffen kann Gebrauch gemacht werden.
Bis zum Ausbruch des kriegerischen Konflikts im Jahr 1974 war Varoscha, dieser südliche, griechisch-zyprisch geprägte Vorort von Famagusta, insbesondere aufgrund seiner Sandstrände das Urlaubsziel sowohl zahlreicher Touristen also auch der Hollywood-Stars. Paul Newman, Brigitte Bardot oder Elizabeth Taylor verbrachten ihre Sommerferien in einem der damals über 100 Hotels. Ehemalige Bewohner beschrieben den Ort als die „französische Riviera von Zypern“, die Stadt mit ihren einst 45.000 Einwohnern soll zum damaligen Zeitpunkt die Hälfte der Hotelbetten der Insel beherbergt haben.
Im Zuge der türkischen Invasion Zyperns flohen die Bewohner, um später wieder zurückzukehren. Doch dazu sollte es bis heute nicht kommen. Denn seit über 40 Jahren durchschneidet ein Stacheldrahtverhau den Palmenstrand und den südlichen Teil Famagustas und markiert so ein weiträumiges Sperrgebiet. Seitdem ist Varoscha de facto Faustpfand Nordzyperns für alle weiteren Verhandlungen. Auch eine UN-Resolution von 1984 änderte daran nichts. Darin wird die nordzyprische Regierung aufgefordert, das Gebiet unter Kontrolle der UN zu stellen und eine Neubesiedlung nur für ehemalige Bewohner zuzulassen. Eigentlich dürfen nur Armeeangehörige sowie die Studentinnen eines dort gelegenen Wohnheims die „Geisterstadt“ betreten. So nennt Elif* den Ort, und auch sie war vor einiger Zeit dort:
„Mein Ex-Freund leistete im Sommer 2009 seinen Militärdienst auf Zypern. Ich wollte ihn in Varoscha besuchen, wohin er entsendet wurde. Jedoch durften nur Soldaten das Gebiet betreten. Es bestand allerdings die Möglichkeit, dass auch Verwandte der ebenda Stationierten vorbeikommen durften. Ich kannte dort einen „Cousin“ mit demselben Nachnamen wie ich, das wird in der Türkei weitestgehend als Nachweis einer Verwandtschaft akzeptiert. Damit war ich also Teil seiner Familie und konnte so zusammen mit ihm das Sperrgebiet betreten.
Ich war nicht allzu lange in Varoscha, maximal 15 Minuten. Das Gebiet hatte zwei Eingänge, beim ersten musste mein Freund seine ID-Karte vorzeigen. Anschließend fuhren wir durch einen Korridor – das Betreten per Fuß war verboten – um zum zweiten zu gelangen. Sogar die Soldaten mussten ein Taxi nehmen, um diese Zone zu durchqueren. Diese wurde von der UN kontrolliert, die Durchfahrt dauerte etwa eine Minute.
Während der kurzen Zeit in Varoscha, habe ich viele Gebäude mit Einschusslöchern gesehen. Ich erinnere mich zudem an eine Schneiderei, wo Mannequins in den nach wie vor zerbrochenen Schaufenstern standen, und an ein Autohaus – wobei die Fahrzeuge verschwunden waren. Überall waren Bäume, die seit dem Ausbruch des Konflikts nicht mehr beschnitten wurden und deren Wurzeln über die Straße wucherten. Außerdem gab es eine Art Bar mit türkischer Musik, die direkt am Strand lag. Den Soldaten war es erlaubt, dort für eine begrenzte Zeit baden zu gehen. Insbesondere die höheren Dienstränge verbrachten ihre Freizeit in Varoscha. Die alten Hotelanlagen wurden allerdings nicht genutzt, die Armee hatte ihre eigenen Gebäude errichtet. Nichts desto trotz betrieb die türkische Armee ebenda ein „Ressort“ für ihre Angehörigen.“
*Name geändert