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Tschita – Ulan-Ude – Darchan

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Buddha-Statue in Darchan

An diesem frühen Morgen hält sich das Treiben am Tschitaer Bahnhof noch zurück. Nur ein paar Schlaftrunkene steigen aus dem Zug von Wladiwostok nach Moskau, der soeben am ersten Bahnsteig Halt macht. Die wachen Passagiere quälen sich aus dem Zug, um sich ihre Morgenzigarette anzuzünden oder etwas Essbares zu finden. Letzteres wird auch für mich zur Herausforderung, haben doch die meisten Läden und Kioske noch geschlossen. Nach kurzer Suche entdecke ich dennoch eine offene Bude. Das Angebot ist zwar überschaubar, aber umfasst das, was ich suche: Piroschki, gefüllte Teigtaschen – preiswert und sättigend. Inständig hoffe ich allerdings, dass sie wenigstens nur vom Vortag sind, um später bei der gut 10-stündigen Fahrt nach Ulan-Ude keine größeren Magenprobleme zu bekommen.

Zurück am wartenden Zug sehe ich, dass mein Waggon wohl mal ein Kurswagen bis auf die Krim war. Notdürftig hat man Sewastopol mit einem Moskau-Zettel überklebt, das „S“ und das Weichheitszeichen am Ende sind noch zu erkennen. Nur die stilisierten Möwen machen noch deutlich, dass dies bis vor dem Beginn der Ukraine-Krise einmal ein Urlaubszug ans Schwarze Meer war.

Im Vergleich zu den vergangenen Abschnitten wird die Fahrt diesmal nur kurz, aber für mich persönlich dennoch bedeutsam. Denn mit der Ankunft in Ulan-Ude schließe ich die Lücke des letzten noch fehlenden Streckenabschnitts: Dank der „Vorleistung“ aus dem Jahr 2013 habe ich nun alle 9288 Transsib-Kilometer hinter mich gebracht – ein Lebensziel erreicht, und das zum großen Teil liegend und im Schlaf.

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Lenins riesiger Kopf von unten

In Ulan-Ude ist mir deshalb schon vieles bekannt, das Finden des (sehr zu empfehlenden) Hostels kein Problem. Dort treffe ich am Abend auf Paul und Tanguy aus Lille, die einen Tag später als ich ebenfalls in die Mongolei wollen. Bei Bierchen und Kartenspielen kommen wir so schnell ins Gespräch, vielleicht sieht man sich ja in Dschingis-Khans-Heimat wieder.

Ich mache mich früh ins Bett, wartet doch am kommenden Tag der abenteuerlichste, weil am wenigsten geplante Teil meiner bisherigen Reise – die (Über-)Fahrt in die Mongolei. Von Ulan-Ude aus gibt es hierfür drei Varianten: entweder mit dem Zug oder dem Reisebus direkt bis nach Ulaanbaatar oder gestückelt mit Marschrutka, Taxi und nach der Grenze entweder per Daumen oder mit dem Sammeltaxi weiter. Ich entscheide mich natürlich für die dritte Variante, denn sie ist nicht nur die schnellste (so wartet man im Zug rund 10 Stunden an der Grenze) und preiswerteste, denn diese Art des Reisens ist auch mit Abstand die spannendste. Zudem will ich vor der mongolischen Hauptstadt noch einen Zwischenstopp einlegen.

Am überschaubaren Busbahnhof von Ulan-Ude finde ich schnell die richtige Marschrutka nach Kjachta, der russischen Grenzstadt. Noch warten die Fahrgäste darauf, dass sich der Minibus füllt. Einer der Wartenden grinst mich an und fragt mich auf deutsch, woher ich kommen würde und wohin ich wolle. Schnell wird klar, dass nicht nur das Reiseziel ähnlich ist. Lukasz kommt aus Polen, er studierte (und lehrte) Politikwissenschaft im deutschsprachigen Raum. Darüber hinaus bereisten wir in der Vergangenheit so ziemlich die selben Länder. Man ist sich schnell sympathisch.

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Buddha Town

Passenderweise ist sein heutiges Etappenziel auch Darchhan, mit etwa 75.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt der Mongolei. Doch bis dahin sind es noch fast 350 Kilometer, die zwar über asphaltierte Straßen führen, diese sind jedoch größtenteils in einem verbesserungswürdigen Zustand. Der erste Teil, die Fahrt bis nach Kjachta, ist dabei für uns Fernreisende noch die leichteste Übung, in der richtigen Marschrutka sitzen wir ja bekanntlich schon einmal. Von Kjachta bis zur Grenze sind es allerdings noch ein paar Kilometer mehr, die unserer Fahrer aber großzügigerweise noch drauflegt. Um dann als Gegenleistung doch 100 Rubel von uns sowie den anderen Fahrgästen zu verlangen. Wir müssen zähneknirschend zahlen, sind doch unsere Rucksäcke im Gepäckraum noch in Geiselhaft.

Da man die Grenze nicht per pedes überqueren darf, muss ein fahrbarer Untersatz her. Ein Glück, dass bereits zahlreiche hilfsbereite Fahrer bereitstehen, die uns gerne für einen kleinen Obolus die folgenden 500 Meter bis in die Mongolei begleiten. Deshalb schließen wir uns Sergej und seiner kleinen Tochter an, die wir bereits auf der Fahrt nach Kjachta kennen gelernt hatten. Denn er kennt den Ablauf der Kontrollen zu Genüge und spricht obendrein Englisch. Ursprünglich kommt Sergej aus der Mongolei, arbeitet nun aber in Moskau. Für das kommende Nationalfest Naadam reist er nun zurück in seine Heimat.

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Typische Wohnsiedlung in Darchan

Der Grenzübertritt zieht sich hin, Autos und LKWs stauen sich. Das ganze Prozedere dauert gut eineinhalb Stunden. Unter anderem müssen wir auf der mongolischen Seite eine Zollerklärung ausfüllen, daneben wird unser Gepäck geröntgt. Trotzdem: „Heutzutage geht es viel schneller als noch vor einigen Jahren“, erklärt Sergej. Er sagt, dass damals statt gut einem Dutzend Autos, hunderte an der Grenze warteten. Und auch die dubiosen Geldwechsler sind verschwunden, seitdem direkt in der Grenzstation eine Wechselstube eingerichtet wurde.

Unser Chauffeur fährt uns noch bis zum nächsten Parkplatz, dann heißt aussteigen. Zu unserer Überraschung wartet dort Sergejs Vater mit einem Fahrer auf uns. Spontan bietet er uns an, mich und Lukasz in seiner weißen Mercedes G-Klasse mitzunehmen. „Schließlich ist Gastfreundschaft mongolische Tradition“, betont Sergej. Obendrein bekommen wir noch eine Flasche Bordschomi in die Hand gedrückt – dem georgischen Mineralwasser, welches außerhalb des südkaukasischen Landes zur obersten Preisklasse gehört und sich im postsowjetischen Raum äußerster Beliebtheit erfreut.

Eigentlich bitten wir Sergej, uns nur bis zum nächsten Busbahnhof ins wenige Kilometer entfernte Süchbaatar zu bringen, von wo wir aus selbstständig weiter wollen. Doch unser Wunsch wird strikt abgelehnt, wir werden direkt bis vor das bereits gebuchte Hotel nach Darchan gefahren.

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Statt grauer Tristesse gibt es in Darchan viele bunte Plattenbauten.

Dort hatte ich eigentlich nur eine Einzelzimmer für mich gebucht, ich biete aber Lukasz an, dass wir uns einfach ein Doppelzimmer teilen können. Doch dieses Unterfangen ist leichter gesagt als getan: Der Rezeptionist spricht weder Englisch noch Russisch, auch mit Zeichensprache kommen wir nur leidlich weiter. Glücklicherweise habe ich die Buchungsbestätigung samt bereits gezahltem Gesamtbetrag auf meinen Laptop. Nun kommt etwas Bewegung ins Spiel, der Rezeptionist ruft eine andere Mitarbeiterin herbei, die ihm wohl die Anweisung gibt, uns ein Zimmer zu geben – ohne Aufpreis. Wir schauen uns verdutzt an, nehmen aber die vermeintliche Kulanzleistung dankbar an.

Wir schmeißen unsere Rucksäcke in die Ecke, gönnen uns eine heiße Dusche und machen uns sogleich auf Restaurantsuche, immerhin waren wir seit dem frühen Morgen ohne Essen unterwegs. Lukasz’ Reiseführer empfiehlt ein koreanisches Restaurant – warum auch nicht, für mongolische Köstlichkeiten wird in den nächsten zwei Wochen noch genügend Zeit sein.

Auf dem Weg zum Ziel unserer Wahl müssen wir von der „Altstadt“, dem Stadtteil neben dem Bahnhof und wo sich unserer Hotel befindet, in die „Neustadt“ Darchans. Der Stadtname bedeutet übersetzt „Schmied“, was die Funktion beschreibt, die die Stadt auszufüllen hatte, als sie von den Sowjets in den 1960er Jahren aufgebaut wurde. Damals wurde Darchan als industrielles Zentrum für die Nordmongolei direkt an der Transmonoglischen Eisenbahn angelegt. Zugleich war sie Modellstadt für Fabrikarbeiter, Traktoristen, Bergleute oder Staatsbedienste, die in – für damalige Verhältnisse – modernen Plattenbauten unterkommen sollten. Diese prägen auch heute noch das Stadtbild, zudem scheint Darchan kurioserweise heute vor allem aus Hotels und Karaokebars zu bestehen. Als Zwischenhalt für uns reicht die Stadt aber unser bescheidenen Ansprüchen. Zudem gilt wie für Russland auch für die Mongolei: Die Natur ist Trumpf.

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